Waren die Nazis »entfesselte Kleinbürger«?

Lutz Herden bemühte in seinem Beitrag zur Bücher­ver­bren­nung 1933 und zu Lion Feucht­wan­gers Antifa-Erzäh­lung »Die Geschwister Opper­mann« (der Freitag 2. Mai 2013) wieder­holt die Metapher von den entfes­selten Klein­bür­gern, die angeb­lich mit ihrem Klassen­ka­me­raden Hitler an die Macht kamen. Wie fragwürdig diese beliebte Deutung ist, wird unfrei­willig schon an der ersten Stelle deutlich, wo sie auftritt:

Herden bezeichnet dort Heinrich Manns Roman­helden Diede­rich Hessling als »entfes­selten Klein­bürger und unter­tä­nigen Fahnen­schwenker seines Kaisers«. Nun ist dieser Hessling Fabri­kant von Beruf und Mitglied einer schla­genden Studen­ten­ver­bin­dung. Wenn man selbst einen derart typischen Großbürger wie Hessling als Klein­bürger bezeichnet, wird dieser Begriff völlig bedeu­tungslos.

Wie sieht es nun mit dem Massen­anhang Hitlers 1930–33 aus? Klar, das waren überwie­gend Angestellte, Einzel­händler, Handwerker, also Klein­bürger. Aber es waren auch viele Bauern und Landar­beiter darunter, und das sind definitiv keine Klein­bürger. Entschei­dend für die Ermäch­ti­gung der Nazis waren ohnehin nicht die Klein­bürger und Bauern – denn die Nazis haben nie die absolute Mehrheit der Wähler­stimmen bekommen –, sondern Großbürger wie Fritz Thyssen, Alfred Hugen­berg, Hjalmar Schacht, und Adlige wie August Wilhelm von Preußen, Rupprecht von Bayern, Kurt von Schröder, Franz von Papen, Eberhard Graf von Kalck­reuth.

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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