„Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind.“ Ei, das ist vorbei.

Die beliebte Redensart ertönte jahrzehn­te­lang gebets­müh­len­artig immer dann, wenn irgendwo ein neuer Götzen­dienst der deutschen Beschleu­ni­gungs­kirche eröffnet wurde – etwa zur Inter­na­tio­nalen Automobil-Ausstel­lung 2011. Gepaart oft mit Auspuff­dogma Nummer 2: „Jeder siebte deutsche Arbeits­platz hängt von der Autoin­dus­trie ab.“ In neuerer Zeit liest man aber auch Entgeg­nungen, etwa hier bei auto​.de vom 30.9.2017, denn Markt­stu­dien sprechen schon lange eine andere Sprache.

2014 ergab eine Forsa-Umfrage, dass nur 35 % der deutschen Autofahrer ihr Auto als Status­symbol betrachten – also noch nicht einmal eine Mehrheit der Autofahrer, geschweige denn eine Mehrheit aller Deutschen (OK, das waren die, die es zugegeben haben; es mag eine Dunkel­ziffer geben). Genau genommen hat der Spruch noch nie gestimmt. „Den Deutschen“ gibt es nicht. Dafür sind die achtzig Millionen Menschen zu verschieden. Es könnte sich also nur um eine Aussage über die Mehrheit der Deutschen handeln – und damit man die Minder­heit, deren liebstes Kind zum Beispiel ihr Kind ist, im Spruch einfach ignorieren kann, muss sie schon ziemlich klein sein. Ist sie das?

Als „Beweis“ wurde meist angeführt, dass eine große Mehrheit der Deutschen entweder ein Auto haben oder gerne eins hätten. Das mag so sein, es beweist aber nicht, dass das Auto das „liebste Kind“ dieser Leute sei. Für viele, die eins haben, ist es vielleicht nur ein Mittel zum Zweck oder ein notwen­diges Übel. Ein Mittel zum Zweck könnte man vielleicht sein „liebstes Werkzeug“ nennen, aber doch nicht sein „liebstes Kind“. Das Bild vom „liebsten Kind“ passt nur auf Menschen, für die das Auto ein Selbst­zweck ist, z. B. ein Status­symbol, oder weil sie sich nur ein Leben mit Auto als lebens­wert vorstellen können. Die gibt es zweifels­ohne, aber die genannte Forsa-Umfrage deutet an, dass es sich dabei nicht um eine Mehrheit der Deutschen handelt. Streng genommen dürften wir auch von denen nur die mitzählen, die keine anderen Selbst­zwecke kennen, die ihnen vielleicht noch ein wenig lieber sind als das Auto.

Im Dogma spiegelt sich vor allem die Funktion des Status­sym­bols, die das Auto jahrzehn­te­lang gerade in Deutsch­land hatte. Trend­for­scher beobachten, dass es diese Funktion bei vielen Deutschen mehr und mehr verliert (wahrschein­lich an Geräte, die mit i anfangen). Durch­schnitt­liche Autokäufer sind inzwi­schen, wie Allens­bach ermit­telte, 53 Jahre alt. Doch auch insge­samt steht das Auto erst auf Platz 9 der belieb­testen Euro-Umschlag­plätze der Deutschen.

Der Spruch vom liebsten Kind hat affir­ma­tiven Charakter: Er soll etwas recht­fer­tigen. Was genau? Den viele Millionen schweren Kult, den Werbe‑, PR- und Event-Agenturen in Deutsch­land alljähr­lich um das Auto insze­nieren – zum Beispiel auf jener IAA in Frank­furt, deren Name wohl nicht zufällig an das Geschrei eines Esels erinnert. Die Betreiber dieses Autokults, die Priester der deutschen Beschleu­ni­gungs­kirche, wollen den Schwarzen Peter gerne weiter­rei­chen an „den Deutschen“ schlechthin. Sie tun das alles ja nur, weil der dumme Gesamt­deut­sche halt so ist, wie er ist. Wenn er aber gar nicht so ist, wie sie behaupten, kommt die Frage auf: Wer ist es denn, der diesen Kult betreibt? Und welche Inter­essen verfolgt er damit? Nun, es wird wohl die deutsche Autoin­dus­trie sein, die das alles finan­ziert, um ihre überge­wich­tigen Renntrak­toren, Drei-Personen-Reise­busse und furzenden Halbstar­ken­schleu­dern gewinn­brin­gend unters Volk zu bringen. Speziell die deutsche Autoin­dus­trie garniert das stählernde Bukett gerne mit Boxen­lu­dern und lanciert Kampa­gnen gegen Tempo­li­mits und andere Leitplanken. Darum laute der Spruch der Straße:

Das Auto ist des Rasers liebste Sünd‘.

Jens Jürgen Korff: Die dümmsten Sprüche… (2015)

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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