Ihre Namen seien: Diametrale, Progressive und Plurale

Es wird offenbar ernst­haft darüber nachge­dacht, die nach 2001 entstan­dene westliche Kultur mit dem läppi­schen Wort „postpost­mo­dern“ zu bezeichnen.[1] Das spätes­tens sollte Menschen, denen Worte und Geschichte wichtig sind, Anlass geben, über Sinn und Unsinn gängiger Epochen­begriffe nachzu­denken. Der Histo­riker und Werbe­texter Jens Jürgen Korff schlägt hier sechs neue vor.[2]

Bild: Von Skulptur: Max Bill; Foto: Volker Wagenitz – Eigenes Werk, CC0

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Rache ist kein Protest

Die WDR-Nachrichten berich­teten am 28. August 2021 darüber, dass der Mörder des US-Demokraten Robert Kennedy begna­digt werden solle. Der Paläs­ti­nenser, so hieß es, habe 1968 Kennedy ermordet, “um gegen dessen pro-israe­li­sche Haltung zu protes­tieren”. Das ist ein schäd­li­cher Sprach­ge­brauch, denn der Mörder hat nicht gegen Kennedys Politik protes­tiert, sondern an Kennedy Rache geübt. Rache ist kein Protest: Rache ist gewalt­tätig und bezieht sich auf die Vergan­gen­heit, sie ist ein angemaßtes Gottes­ur­teil. Protest ist fried­lich und richtet sich auf die Zukunft. Journa­lis­tinnen und ‑ten, haltet das bitte ausein­ander!

Gibt es ein Primat der „Todesverhinderung“?

Die deutsche Schrift­stel­lerin Thea Dorn hat April 2021 die Seuchen­re­gime der europäi­schen Regie­rungen kriti­siert: Sie stünden unter dem Primat einer „Todes­ver­hin­de­rung“ um jeden Preis, nämlich auch um den Preis schwer­wie­gender und langfris­tiger Schäden für Demokratie, Gesell­schaft und Kultur. Anonyma hat wiederum diesen Begriff scharf kriti­siert: Er könne aus dem „Wörter­buch des Unmen­schen“ stammen, das Dolf Stern­berger und andere 1945–48 in Artikel­form verfassten, oder gar aus LTI, der von Victor Klemperer 1947 kompi­lierten „Sprache des Dritten Reiches“. Also bin ich als Histo­riker und Texter gefragt, der Sache nachzu­gehen.

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Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt? Wer ist »Wir«?

Dieses Duckmäu­ser­dogma findet sich zum Beispiel in einer Rede des CDU-Politi­kers Fried­rich Merz im November 2009 und in einer Rede der Bundes­kanz­lerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag 2008. In meiner Kritik im Buch habe ich vor allem den manipu­la­tiven Gebrauch des Perso­nal­pro­no­mens »Wir« kriti­siert:

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“Die Politik hat versagt”? Falscher Sprachgebrauch

Mit Politik war bis ins frühe 21. Jahrhun­dert in der Regel ein Tätig­keits- und Inter­es­sen­ge­biet der Menschen gemeint. Politik war etwas, das man macht; genauer: etwas, das in einer Demokratie sogar jeder von uns machen kann. „Politik machen“ hieß: sich um Angele­gen­heiten des Staates, der Gesell­schaft, des öffent­li­chen Zusam­men­le­bens der Menschen kümmern; sich infor­mieren, sich eine Meinung bilden, diese Meinung öffent­lich äußern, mitdis­ku­tieren, Vereine bilden, demons­trieren, abstimmen, wählen, kandi­dieren. Um 2005 änderte sich die Bedeu­tung des Wortes Politik. “Die Politik hat versagt”? Falscher Sprach­ge­brauch weiter­lesen

Ist Politik ein schmutziges Geschäft?

Dilma Rousseff. Foto: Roberto Stuckert Filho/Presidência da República
Dilma Rousseff. Foto: Roberto Stuckert Filho/​Presidência da Repúb­lica

In meiner Kritik am Dünkel­dogma von der Politik als schmut­zigem Geschäft habe ich darauf hinge­wiesen, dass in der Geschichte viele Kampa­gnen gegen angeb­lich korrupte Politiker von konser­va­tiven oder faschis­ti­schen Gegnern der Demokratie ausge­gangen sind. Ein weiteres aktuelles Beispiel erleben wir gerade in Brasi­lien – und wieder ist eine Frau das Ziel der Kampagne.

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Politik? Nein, Haus- und Grundbesitz verdirbt den Charakter

Im Buch kriti­siere ich, anknüp­fend an Axel Eggebrecht, das konser­va­tive Dogma „Politik verdirbt den Charakter“. In dieser Form ist es nicht mehr üblich, aber sinngemäß geistert es weiterhin durch zahllose öffent­liche und private Debatten, etwa in der Form: „Politiker sind sowieso alle korrupt.“ Oder einfach in Form des gnadenlos schlechten Ansehens, dass der Berufs­stand des Politi­kers besitzt. Eggebrecht wider­sprach dem Dogma um 1980, indem er einen Satz des öster­rei­chi­schen Politi­kers Julius Raab aufgriff: „Nicht Politik verdirbt den Charakter, sondern schlechte Charak­tere verderben die Politik.“

Am ursprüng­li­chen Dogma ist natür­lich etwas dran, weil Politik mit Macht­kämpfen verbunden ist… Politik? Nein, Haus- und Grund­be­sitz verdirbt den Charakter weiter­lesen