Richard Häusler, Leiter der Berliner Beratungsagentur Stratum Consult, agitierte im Mai und Juli 2023 gegen positiv formulierte Nachhaltigkeitsziele, also das UN-Programm eines »guten Lebens für alle«. Er verwies darauf, dass Menschen sehr unterschiedliche positive Ziele verfolgen, und fragte: „Wie kommen wir also dazu, unter dem Ethos-Label „Nachhaltigkeit“ ein einheitliches Lebensglück und ‑ziel für alle zu postulieren?“ Während positive Ziele kaum konsensfähig seien, seien wir uns in der Regel schnell darüber einig, welche negativen Erlebnisse und Gefahren wir vermeiden wollen. Dieser Ansatz prägt auch viele Kunstwerke. Ich stimme seiner Schlussfolgerung zu, nicht jedoch seiner anthropologischen Herleitung, und biete eine sozialkulturelle Alternative an.
Ist Negatives konsensfähiger als Positives? weiterlesenKategorie: Kultur
Heute im Programm: Wagner für Warlords
Im Juni 2023 wagte Alexander Prigoschin, Kommandant der russischen Söldnertruppe »Wagner«, einen Putschversuch gegen Präsident Putin und Kriegsminister Schoigu, denen er Versagen bei der Planung des Krieges gegen die Ukraine vorwarf. Das WDR3-Mosaik spielte am 27. Juni aus diesem Anlass den Pilgerchor aus Richard Wagners Oper »Tannhäuser«, und Moderator Michael Struck-Schloen wunderte sich über den Namen »Wagner«. Ja, damit sei tatsächlich der Komponist Wagner gemeint. Aber was, um Himmels willen, habe denn Wagner und seine Musik mit dem Krieg zu tun? Ich erlaube mir hier zu antworten.
Bild: Cesare Viazzi: La cavalcata delle Valchirie (Der Ritt der Walküren) – Wikimedia Commons
Heute im Programm: Wagner für Warlords weiterlesenIhre Namen seien: Diametrale, Progressive und Plurale
Es wird offenbar ernsthaft darüber nachgedacht, die nach 2001 entstandene westliche Kultur mit dem läppischen Wort „postpostmodern“ zu bezeichnen.[1] Das spätestens sollte Menschen, denen Worte und Geschichte wichtig sind, Anlass geben, über Sinn und Unsinn gängiger Epochenbegriffe nachzudenken. Der Historiker und Werbetexter Jens Jürgen Korff schlägt hier sechs neue vor.[2]
Bild: Von Skulptur: Max Bill; Foto: Volker Wagenitz – Eigenes Werk, CC0
Ihre Namen seien: Diametrale, Progressive und Plurale weiterlesenEine Welt ohne Religion?
Naturwissenschaftlerinnen und Techniker werfen uns Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen gerne vor, wir schnitzten uns eine Welt, wie sie uns gefällt. Doch wenn es um Religion geht, tun jene praktisch genau das, was sie uns vorwerfen: Sie konstruieren eine Kultur ohne Religion, eine Stadt ohne Kirchen, also eine Art Dreieck ohne Winkel. Übrigens wäre eine Welt ohne Religion vermutlich eine Welt ohne Kunst.
Eine Welt ohne Religion? weiterlesenDu auch Parallelgesellschaft? Willkommen im Club!
Deutschland gespalten? Das ist gar nicht so.
Der Journalist und Soziologe Jürgen Kaube, Mitherausgeber der FAZ, veröffentlichte 2022 das Buch »Die gespaltene Gesellschaft« und sprach darüber am 12. November 2022 mit dem WDR3 »Mosaik«. Darin bestätigt er meine Sichtweise auf Parallelgesellschaften: Wenn die Migrantenviertel in Essen-Katernberg Parallelgesellschaften sein sollen, dann sind auch die Villenviertel in Essen-Bredeney Parallelgesellschaften.
Du auch Parallelgesellschaft? Willkommen im Club! weiterlesenEin Kampf um die blaue Blume
Der Literaturhistoriker Gunnar Decker, Autor einer Biografie des ostdeutschen Schriftstellers und Kommunisten Franz Fühmann, würdigte die Rolle Fühmanns zu seinem 100. Geburtstag. Fühmann verteidigte in den 1970er Jahren in der DDR die Tradition der deutschen Romantik gegen ihre Gegner, darunter Peter Hacks.
Ein Kampf um die blaue Blume weiterlesenDie Aufklärer waren Kolonialisten? Ganz im Gegenteil!
Die usamisch-deutsche Philosophin Susan Neiman demontierte im »Freitag« ausführlich den Trend, die Philosophen der Aufklärung und ihr Konzept der Menschenrechte für den Kolonialismus verantwortlich zu machen. In Wirklichkeit haben Montesquieu, Denis Diderot, Immanuel Kant und Christian Wolff, so Neiman, immer wieder dezidiert den Kolonialismus und das eurozentrische Denken ihrer Zeitgenossen kritisiert.
Die Aufklärer waren Kolonialisten? Ganz im Gegenteil! weiterlesenClaude-Monet-Allee statt Oswald-Boelcke-Allee
Eine Rede, gehalten am 9. Oktober 2021 in Nörvenich bei Düren
Die Straße zum Fliegerhorst Nörvenich wurde nach Oswald Boelcke benannt. Genau wie das Jagdbombergeschwader, das seit 1958 auf dem Fliegerhorst Nörvenich stationiert ist und das seit 1961 den, wie es so schön heißt, »Traditionsnamen Boelcke« trägt. Boelcke war einer der drei bekanntesten deutschen Kampfpiloten des I. Weltkriegs – neben Immelmann und Richthofen.
Bild: Von Claude Monet – wartburg.edu, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5504881
Claude-Monet-Allee statt Oswald-Boelcke-Allee weiterlesenDer Unfug vom binären Denken
Im WDR-Funkhausgespräch stritten am 12. November 2020 der Politologe Karl-Rudolf Korte, die Jungsozialistin Jessica Rosenthal und die Klimaaktivistin Ronja Weil über die »Krise der Parteien« und die Frage, ob eine »Demokratie von unten« an ihre Stelle treten kann. Korte sagte in der Debatte einige kluge Dinge, aber als es darum ging, warum manche Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen, etwa zwischen Coronabesorgten und Coronaignoranten, oft eskalieren, glitt er in ein Dünkeldogma ab: Er führte solche Eskalationen auf die »binäre Logik« der Computer und das damit einhergehende »binäre Denken« der Internetbenutzer zurück.
Der Unfug vom binären Denken weiterlesenEine Herrschaft der Dummen gibt es nicht
Seit dem späten 19. Jahrhundert warnen Sozialdarwinisten in Deutschland vor einer zunehmenden Verdummung der Menschen und einer Machtübernahme der Dummen. Grund sei die höhere Vermehrungsrate der Dummen und die niedrigere der Intelligenten. In der Regel paarte sich diese kulturpessimistische Klage mit der Klage über die Demokratie: Die Demokratie führe zu einer Herrschaft der Dummen (Ochlokratie) und gefährde deshalb den Fortbestand der Kultur. Sie müsse durch eine Oligarchie (Herrschaft der Wenigen) oder Aristokratie (Herrschaft der Besten) ersetzt werden, sagt diejenige politische Strömung, die um 1800 aus der Rechtfertigung der Vorrechte des Adels entstanden ist. Diese beiden Theorien sind durch den Verlauf der Geschichte der letzten 150 Jahre hinreichend widerlegt, um als falsch gelten zu können.
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