Kolonialismus oder Antisemitismus? Arnold Gehlen hilft weiter

Aktuelle Ausein­an­der­set­zungen wie die um indone­si­sche Wandbilder auf der documenta fifteen (2022) oder um den Terror des 7. Oktober 2024 und den anschlie­ßenden Gazakrieg führen immer wieder in eine Sackgasse, in der der Schutz von Jüdinnen und Juden vor antise­mi­ti­scher Gewalt und der Kampf mit dem kolonia­lis­ti­schen Erbe in einen unüber­brück­baren Gegen­satz zu geraten scheinen.  Meine These ist, dass die histo­ri­sche Analyse des Nazire­gimes Tritt­steine gesetzt hat, die aus der Sackgasse heraus­führen können. Ich blicke über 30 Jahre zurück: Der Histo­riker Chris­tian Graf v. Krockow analy­sierte 1990 in seinem Essay »Die europäi­sche Vernunft und das deutsche Drama«[1] die Frage, warum es in Deutsch­land [und Italien] ein faschis­ti­sches Régime gab, in Großbri­tan­nien, Frank­reich [und Usa] jedoch nicht. Dort bezog er sich auf den konser­vativ-faschis­ti­schen deutschen Sozio­logen Arnold Gehlen. Über Gehlen und Krockow kommen wir einen Schritt weiter, wenn wir den Kolonia­lismus in die Analyse mit einbe­ziehen.

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Der Krieg als Vater der Illusionen

Ab 2022 wurden deutsche Kriegs­treiber nicht müde, ihre grimmige Freude über das angeb­liche Zerbre­chen von „Illusionen“ der für vergangen und überwunden erklärten Friedens­zeit auszu­drü­cken. Der israe­li­sche Psycho­loge und Histo­riker Eran Rolnik wider­sprach ihnen in einem Vortrag vor dem Sigmund-Freud-Institut: „Der Kriegt wirkt kontra-analy­tisch, und nicht nur, weil er etwas Gewalt­sames ist, sondern weil er unser Verhältnis zur Humanität entzau­bert, unsere Illusionen verstärkt und unbewusste archai­sche Fanta­sien auslöst.“

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Wenn Antikapitalisten gegen Habeck und den Klimaschutz zu Felde ziehen

Der rötlich schil­lernde (und dem Autor persön­lich bekannte) Kölner Inves­ti­gativ-Journa­list Werner Rügemer hat im Online-Magazin Manova (früher Rubikon) eine große Abrech­nung mit dem „Klima­schutz­fanatiker“ Robert Habeck und anderen angeb­li­chen „Umwelt-Lügnern“ der Grünen veröf­fent­licht. Der Artikel strotzt vor irre­führenden Halb- und Viertel­wahr­heiten; die wenigen wirklich bedenkens­werten Kritik­punkte, etwa beim Thema Grund­wasser, decken Rügemers Stoß­richtung gegen Habeck und den Klima­schutz nicht. Das Ganze scheint von links zu kommen, reiht sich politisch aber ein in den konser­va­tiven Rollback, den die Energie­­wende-Expertin Claudia Kemfert schon 2017 so charak­te­ri­sierte: „Das fossile Imperium schlägt zurück.”

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Putin ist kein Hitler, sondern ein Hindenburg

Es wimmelt seit 2022 von Gleich­set­zungen des Krieges in der Ukraine mit der Ermor­dung der Juden durch die Nazis 1941–1945. Sie sind so falsch und irrefüh­rend wie alle Shoah-Gleich­set­zungen.

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[1] Fried­rich II., Von Anton Graff – Origi­nally uploaded to de.wikipedia (All user names refer to de.wikipedia):18:53, 24. Nov 2005 . . Caro1409 (Diskus­sion) . . 286 × 350 (17967 Byte)18:51, 24. Nov 2005 . . Caro1409 (Diskus­sion) . . 286 × 350 (17967 Byte), Gemein­frei, https://​commons​.wikimedia​.org/​w​/​i​n​d​e​x​.​p​h​p​?​c​u​r​i​d​=​5​2​9​840
[2] Wilhelm II. 1888, Von Bundes­ar­chiv, Bild 146−1993−098−12 /​ Reichard & Lindner /​ CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://​commons​.wikimedia​.org/​w​/​i​n​d​e​x​.​p​h​p​?​c​u​r​i​d​=​5​4​8​3​581
[3] Hinden­burg 1915, Von Original: Nicola Perscheid (1864–1930) – Staats­bi­blio­thek zu Berlin – Preußi­scher Kultur­be­sitz [1], Gemein­frei, https://​commons​.wikimedia​.org/​w​/​i​n​d​e​x​.​p​h​p​?​c​u​r​i​d​=​4​8​0​2​6​107
[4] Putin 2013, Von Kremlin​.ru, CC BY 4.0, https://​commons​.wikimedia​.org/​w​/​i​n​d​e​x​.​p​h​p​?​c​u​r​i​d​=​3​7​5​6​4​928
Montage: Jens Jürgen Korff 2024, via Canva

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Stefan Austs Gewaltkultproblem und seine aktuellen Folgen

Der konser­va­tive Journa­list und »Welt«-Herausgeber Stefan Aust lieferte im Februar 2024 eine histo­risch anmutende Abrech­nung mit dem angeb­lich grün träumenden »Ampel­deutsch­land« ab. Der Ökonom und Entwick­lungs­experte Helmut Feder­mann schickte sie mir zu. Der durch und durch konser­vativ und milta­ris­tisch gestrickten Analyse möchte ich bei fast jedem Satz des bekannten Publi­zisten wider­spre­chen. Vier Beispiele aus seiner Einlei­tung:

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Voller Morden? Nein, die Welt ist voller Küsse.

Eine Welt voller Küsse: Massen­küssen in Zürich (Youtube-Video)

Der briti­sche Philo­soph Thomas Hobbes behaup­tete im 17. Jahrhun­dert, die Mensch­heit sei von Natur aus in einen Krieg aller gegen alle verstrickt, und nur dank einiger absoluter Herrscher sei dieser Kriegs­zu­stand in vielen Ländern unter­drückt. In anderen Gestalten tauchte das gleiche Dogma seitdem immer wieder auf. Etwa in der Form: “Die Welt ist voller Morden” (Walter Flex 1917). Oder: „Wo man hinschaut: Die Welt brennt an allen Ecken und Enden.“ So geisterte es 2014, hundert Jahre nach Beginn des I. Weltkriegs, durch Kommen­tare, Modera­tionen und Facebook-Beiträge.[1] 2023, mit dem Ukrai­ne­krieg und dem neuen Nahost­krieg im Nacken, schien alles noch viel schlimmer geworden zu sein. Doch ich bin geneigt, das Dogma in dieser Form für einen Irrtum zu halten, den man buchstäb­lich wider­legen kann. Denn jeden, der mich jetzt ungläubig und kopfschüt­telnd anstarrt, bitte ich, den Bildschirm für drei Minuten auszu­schalten und in dieser Zeit alle Länder aufzu­zählen, in denen jetzt, also am heutigen Tage, Menschen im Krieg gestorben sind.

Ja, meine Liebe, mein Lieber – welche Länder sind das?

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Ist Negatives konsensfähiger als Positives?

Richard Häusler, Leiter der Berliner Beratungs­agentur Stratum Consult, agitierte im Mai und Juli 2023 gegen positiv formu­lierte Nachhal­tig­keits­ziele, also das UN-Programm eines »guten Lebens für alle«. Er verwies darauf, dass Menschen sehr unter­schied­liche positive Ziele verfolgen, und fragte: „Wie kommen wir also dazu, unter dem Ethos-Label „Nachhal­tig­keit“ ein einheit­li­ches Lebens­glück und ‑ziel für alle zu postu­lieren?“ Während positive Ziele kaum konsens­fähig seien, seien wir uns in der Regel schnell darüber einig, welche negativen Erleb­nisse und Gefahren wir vermeiden wollen. Dieser Ansatz prägt auch viele Kunst­werke. Ich stimme seiner Schluss­fol­ge­rung zu, nicht jedoch seiner anthro­po­lo­gi­schen Herlei­tung, und biete eine sozial­kul­tu­relle Alter­na­tive an.

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Was Elon Musk gegen die Künstliche Intelligenz hat

Ende März 2023 veröf­fent­lichte das Future of Life Insti­tute in Narberth, Pennsyl­vania (USA), einen offenen Brief, der die KI-Labore wegen drohender Gefahren zu einem sechs­mo­na­tigen Entwicklungs­moratorium und die Gesetz­geber zu regulie­renden Gesetzen aufrief. Zu den Erstun­ter­zeich­nern gehörten Tesla- und Twitter-Chef Elon Musk, der Apple-Mitbe­gründer Steven Wozniak und der Skype-Gründer Jaan Tallinn. Der Aufruf brachte einmal mehr ohne Indizien oder Begrün­dung die KI in Zusam­men­hang mit Propa­ganda und Lügen („Should we let machines flood our infor­ma­tion channels with propa­ganda and untruth?“) und stellte weitere steile Thesen auf wie die, dass KI uns Menschen überall ersetzen und die Zivili­sa­tion wegen KI außer Kontrolle geraten könne. Alles rheto­risch so gesetzt, als seien die KI-Entwickler, also Leute von OpenAI, Micro­soft und Google, Menschen, die das alles wollen oder billi­gend oder fahrlässig in Kauf nehmen, und als seien die Unter­zeichner die Leute, die das nicht wollen.

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Ihre Namen seien: Diametrale, Progressive und Plurale

Es wird offenbar ernst­haft darüber nachge­dacht, die nach 2001 entstan­dene westliche Kultur mit dem läppi­schen Wort „postpost­mo­dern“ zu bezeichnen.[1] Das spätes­tens sollte Menschen, denen Worte und Geschichte wichtig sind, Anlass geben, über Sinn und Unsinn gängiger Epochen­begriffe nachzu­denken. Der Histo­riker und Werbe­texter Jens Jürgen Korff schlägt hier sechs neue vor.[2]

Bild: Von Skulptur: Max Bill; Foto: Volker Wagenitz – Eigenes Werk, CC0

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„Wer arbeiten will, findet auch Arbeit.“ – „Darf ich Sie mal was fragen?“

Wir belau­schen ein Leistungs­trä­ger­ge­spräch am Neben­tisch. Die Herren sind gut gekleidet, gepflegt, kennen die Welt und ihre Pappen­heimer und sind sich einig: »Wer arbeiten will, findet auch Arbeit.«

Was soll man darauf antworten? Zum Beispiel das: „Nur darf man nicht gerade zu dem kommen, der diesen Satz spricht; denn der hat keine Arbeit zu vergeben,und der weiß auch niemand zu nennen, der einen Arbeiter sucht.

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