„Die Zielscheibe ist eindeutig faschistisch“

Ein Diskurs über Hopp, Hoffenheim und die Dortmunder Ultras

BALLO: Was hältst du von der Aufre­gung im Fußball­zirkus wegen der Belei­di­gung des Milli­ar­därs Dietmar Hopp? Ist das nicht arg übertrieben, was Rumme­nigge und andere da jetzt veran­stalten?

WOLKRATES: Was im Fußball­zirkus angemessen oder übertrieben ist, kann ich schlecht sagen, da ich den zu selten besuche. Aber die Kampagne dieser Ultras gegen Hopp halte ich für gefähr­lich, und ich finde, wir müssen diesen Leuten entschieden entge­gen­treten. Wo Rumme­nigge Ähnli­ches sagt, pflichte ich ihm bei.
Aber wenn ein Milli­ardär wie Hopp sich derart exponiert, wie er es hier mit seinem Fußball­verein getan hat, und das auf einem Feld, auf dem feind­liche Emotionen zwischen konkur­rie­renden Mannschaften seit jeher üblich sind, dann muss er mit Attacken rechnen.
Ja, mit Attacken auf Hoffen­heim als Privat­mann­schaft eines Reichen musste er rechnen. Aber das Plakat, das die Dortmunder Ultras jetzt zeigen, diese Zielscheibe über dem Gesicht Hoppes, ist eindeutig faschis­tisch.
Faschis­tisch? Wie kommst du darauf?
Die Zielscheibe ist eine Auffor­de­rung zum Mord. Sie zeigt die Situa­tion, den Blick des Mörders auf sein Opfer, kurz bevor er abdrückt. Die letzte Sekunde im Leben des Dietmar Hopp. Genau das war und ist Faschismus: die offene Verherr­li­chung von Mord.
Ich glaube nicht, dass diese Paral­lele den Leuten bewusst war. Für die ist das wahrschein­lich nur eine Art Compu­ter­spiel.
Ich dagegen nehme an, dass das Plakat einen Spiritus rector hat, dem die faschis­ti­sche Botschaft vollkommen bewusst ist. Wie stark speziell die Dortmunder Hooligan- und Ultra­szene von organi­sierten Faschisten unter­wan­dert war und ist, ist seit vielen Jahren bekannt, seit den Zeiten von Michael Kühnen, »SS-Siggi« und der »Borus­sen­front«. Vielleicht steckt sogar Borchardt persön­lich dahinter.

BALLO: Anderer­seits kann ich die Wut der Fußball­fans über Milli­ar­däre verstehen, die diesen Sport, der aus der Arbei­ter­schaft stammt, einfach aufkaufen und in ihrem Sinne manipu­lieren.
WOLKRATES: Hört, hört! Der Klassen­kämpfer! Ist es nicht arg seltsam, wenn ausge­rechnet Anhänger der börsen­no­tierten Firma Borussia Dortmund den Kapita­lismus im Fußball bekämpfen? Und zwar nicht bei sich zu Hause, sondern in Baden? Wem gehört denn die Borussia? Größter Aktionär und Haupt­sponsor ist der Chemie­kon­zern Evonik, eine Ausglie­de­rung der früheren Ruhrkohle AG, zu der auch Degussa gehört. Degussa war einer der übelsten Chemie­kon­zerne der Nazis, um eine weitere faschis­ti­sche Tradi­ti­ons­linie zu ziehen.
Das ist jetzt aber weit herge­holt. Das Problem ist doch, dass es bei Hoffen­heim einen nament­lich bekannten Kapita­listen und Milli­ardär gibt, der erklär­ter­maßen hinter dem Verein steht, und ohne den es den Verein praktisch nicht gäbe, während Borussia ein Tradi­ti­ons­verein mit Arbei­ter­grun­die­rung ist. Deren Sponsoren kennt man zwar als Firmen, aber man kennt keine Personen. Und Ruhrkohle AG: Das ist eben die schwarze Seele des Potts.
In der Tat ist der wirtschaft­liche Hinter­grund der beiden Vereine sehr unter­schied­lich, und das bestä­tigt meinen Faschis­mus­ver­dacht. Hoffen­heim wird von einem sehr erfolg­rei­chen Unter­nehmer finan­ziert, der sein Vermögen vor allem seiner eigenen Erfin­dung zu verdanken hat: Dietmar Hopp hat als Program­mierer zusammen mit Hasso Plattner und anderen in den 1970er Jahren das Waren­wirt­schafts­system SAP entwi­ckelt. Eine Software für Manager, also etwas schwer Begreif­li­ches. Ein ähnli­cher Fall wie Bill Gates und Micro­soft. Evonik, Degussa, RAG usw. stehen dagegen für alte Dynas­tien der deutschen Schwer­indus­trie: Kohle, Stahl und die angeschlos­sene Chemie. Das sind die Leute und Kreise, die seit zwei Jahrhun­derten in Westdeutsch­land herrschen. Die Wut jener Ultras richtet sich gegen einen Mann, der sich selbst reich gemacht hat, erst vor 20 oder 30 Jahren und dazu noch mit Produkten, die niemand versteht und keiner von »uns« braucht. Die Wütenden empfinden Hopp als Usurpator, als einen neuen Herrscher, der sich Macht anmaßt, die ihm nicht zusteht. Die Kohle- und Stahl­ba­rone dagegen waren quasi immer schon da, sie haben die Kathe­dralen des Ruhrge­biets errichtet, die Förder­türme und Hochöfen, sie haben »uns«, den Indus­trie­ar­bei­tern, Lohn und Brot verschafft; sie sind also aus vollem Recht unsere Herren.

BALLO: Ja, da ist was dran. Und dann toppt dieser Hopp seine Anmaßung auch noch, indem er einen Fußball­verein aus der Retorte hebt, so wie vorher sein SAP, der wie ein Compu­ter­virus die heilige deutsche Bundes­liga durch­lö­chert.
WOLKRATES: So mag ein Westfale die Welt sehen. Ein Nordba­dener sieht in der TSG 1899 Hoffen­heim wahrschein­lich einen altein­ge­ses­senen Turn- und Sport­verein, der seit 1945 auch Fußball spielt, seit 1992 in der Landes­liga, seit 1996 in der Verbands­liga, seit 2001 in der Regio­nal­liga.
Oho! Der Histo­riker tummelt sich in badischen Fußball­ta­bellen?
Wikipedia, gestern gelesen. Bin halt vielseitig inter­es­sierbar 😊 Hopp hat in der ganzen Welt sein Geld verdient und ist seiner nordba­di­schen Heimat verbunden geblieben, fördert dort seit 1989 den Verein, in dem er als Junge hatte spielen wollen, was ihm aber sein engstir­niger Vater verboten hatte. Aber westfä­li­sche Faschisten machen aus ihm eine Art Alien, einen Invasoren, den man abschießen muss. Das Muster ist typisch für rassis­ti­sches Denken: Wenn Afrikaner tanzen, zeigen sie ihre Affen­natur. Wenn Europäer tanzen, zeigen sie ihre hohe Kultur. Wenn Araber singen, rüsten sie sich zum Kampf gegen das Abend­land. Wenn Deutsche singen, gilt: Böse Menschen haben keine Lieder. Du hast keine Chance, etwas richtig zu machen, wenn du auf der falschen Straßen­seite geboren wurdest.
Was hat die Usurpator-Geschichte mit Faschismus zu tun?
Der Faschismus entstand nach dem Ersten Weltkrieg in Italien und Deutsch­land, auch in Ungarn und Kroatien, als eine Rache­be­we­gung derje­nigen Kreise, die sich vom Krieg einen grandiosen Aufstieg verspro­chen hatten und ihn dann nicht bekamen, oder sogar durch die Revolu­tionen von 191819 degra­diert wurden. Der Erste Weltkrieg wurde von Offizieren, Rüstungs­in­dus­tri­ellen, Kohle‑, Stahl- und Chemie­in­dus­tri­ellen haupt­säch­lich betrieben. Deshalb sind in diesem Umfeld auch die Faschisten großge­päp­pelt worden. Ab 1929 betrieben die Faschisten nicht nur einen neuen Weltkrieg, sondern richteten ihre Propa­ganda gegen einen neuen Sektor der Weltwirt­schaft aus, die inter­na­tio­nale Finanz-wirtschaft, und erklärten deren Führungs­kräfte rassis­tisch alle zu Juden – oder, in Italien und Usa, zu Frei-maurern. In der Hetze gegen den Software-Unter­nehmer Hopp sehe ich ein ganz ähnli­ches Muster erneut ablaufen: alte Wirtschaft gegen neue. Dazu kommt, dass Kohle- und Stahl­fa­schisten in Hopp noch einen weiteren Feind erkannt haben: den Klima­schützer.
Hopp ist Klima­schützer?
Ja; er hat 2014 eine »Klima-Arena« in Sinsheim und eine »Klima­stif­tung der Bürger« gegründet. Das hören Kohlegläu­bige nicht gerne. Da der Klima­schutz inter­na­tional ist, kann auch gleich das alte Feind­bild von einer inter­na­tio­nalen Verschwö­rung gegen Deutsch­lands innerste Kraft­quelle aus der Motten­kiste geholt werden. Und dann hat Hopp auch noch einen Film unter­stützt, in dem zwei alte Hoffen­heimer Juden erzählen, wie sie 1938 von badischen Nazis, darunter Hopps Vater, aus dem Land gejagt wurden. Hopp als Vater­lands- und Vater­ver­räter: wenn du Deutsch­fa­schist bist, fügt sich eins zum anderen.

BALLO: Ich sehe, dass es beson­dere Gründe gibt, Hopp gegen die Hetze zu vertei­digen, auch wenn es mir schwer fällt, weil Hopp Milli­ardär ist. Aber dennoch habe ich den Verdacht, dass die Solida­rität im DFB, die Rumme­nigge heraus­po­saunt, nicht dem angegrif­fenen Menschen Hopp gilt, sondern dem reichen Geldgeber. Und dass die alltäg­liche rassis­ti­sche Hetze gegen Afrodeut­sche, Muslime usw. als Thema dabei untern Tisch fällt.
WOLKRATES: Das mag dabei eine Rolle spielen. Niemand ist dagegen gefeit, dass er persön­liche Bekannte spontan für schüt­zens­werter hält als irgend­welche Fremden, mit denen er wenig zu tun hat.
Ich spreche von rassis­ti­schen Hetzpla­katen gegen dunkel­häu­tige Bundes­li­ga­spieler. Da geht es nicht um Fremde, sondern um Menschen, die die DFB-Funktio­näre ebenfalls persön­lich kennen.
Das stimmt. Der DFB hat es wahrschein­lich versäumt, früher gegen solche rassis­ti­sche Hetze vorzu­gehen. Mögli­cher­weise hat sich lange niemand an den faschis­tisch oder rassis­tisch durch­setzten Teil der Ultra­szene heran­ge­traut. Dass es jetzt doch geschieht, weil ein Mäzen persön­lich angegriffen wird, mag man als ungerecht empfinden. Aber ist nicht jeder erste Schritt in eine neue Richtung einseitig und ungerecht?

BALLO: Vielleicht ist das so. Als beson­ders ungerecht empfinden viele Fußball­fans im Moment offenbar die Kollek­tiv­strafe des DFB gegen die Dortmunder Fans. Weil einzelne dieses Zielschei­ben­plakat hoch gehalten haben, werden alle bestraft. Erfah­rungs­gemäß bringen solche Strafen auch nichts, da die meisten Betrof­fenen gar keine Chance hatten, sich anders zu verhalten.
WOLKRATES: Das ist in der Tat ein großes Problem bei Kollek­tiv­strafen. Anderer­seits können die Fußball­ver­eine selber keine straf­recht­li­chen Ermitt­lungen gegen einzelne Täter führen. Sie können aber von ihrem Hausrecht Gebrauch machen. Die Fans, die jetzt ihren Aufstand insze­nieren, wenden sich in der Regel auch gegen polizei­liche Ermitt­lungen. Die Empörung über Kollek­tiv­strafen erscheint mir daher als Vorwand. Sie sind ja genauso gegen indivi­du­elle Strafen. Auch schweigen sie sich, wie hier die Schickeria München, über das Thema Zielschei­ben­plakat und den darin steckenden Mordaufruf geflis­sent­lich aus. Das ist sehr bequem. Hast du einen Alter­na­tiv­vor­schlag zur Kollek­tiv­strafe?
Ich überlege noch. Straf­ver­fahren, auch indivi­du­elle, haben an sich schon den Nachteil, dass sie die Aufmerk­sam­keit für die Täter vergrö­ßern, denn sie kommen mit ihrer Tat dann drei- bis viermal ins Fernsehen: wenn die Tat geschah, wenn die Täter ermit­telt wurden, wenn sie angeklagt und wenn sie verur­teilt wurden. Wenn wir Pech haben, zeigen die Medien dann jedes Mal erneut das Hetzplakat und vergrö­ßern so dessen Reich­weite und Wirkung. Eigent­lich wäre es besser, Gruppen zu belohnen, die sich dem Schmäh­ri­tual der Großkotze entziehen und es hinkriegen, ihre Fußball-Begeis­te­rung auf fried­fer­tige Weise zu pflegen.
Und vielleicht wäre es möglich, die Medien­re­so­nanz von Gewalt­tä­tern und Gewalt­ver­herr­li­chern gezielt zu sabotieren. Die Fußball­ver­eine haben über die Fernseh­rechte, die sie verkaufen, einen erheb­li­chen und durchaus proble­ma­ti­schen Einfluss auf die Fußball-Bericht­erstat­tung. Sie könnten z. B. durch­setzen, dass faschis­ti­sche Symbole wie diese Zielscheibe stets verpi­xelt werden müssen



Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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