Fünf Thesen zu #Thüringen

Das hysterische Geschrei um die Ereignisse in Thüringen überschritt im Februar 2020 sämtliche Lärmschutz-Grenzwerte. Geht das Ganze auch eine Nummer bedächtiger? Ich versuch’s mal mit fünf Klarstellungen, die mir wichtig erscheinen.

  1. Kemmerich ist kein Faschist, sondern ein Liberaler. Seine Wahl ist keine Machtergreifung. Er trachtet niemandem nach dem Leben.
  2. Höcke ist zwar ein Faschist, aber die AfD als Ganzes ist keine faschistische Partei, sondern eine nationalkonservative.
  3. Nationalkonservativ zu sein wie die AfD ist schlimm genug. Alle Nazivergleiche sind falsch, weil sie die Naziverbrechen verharmlosen. Die AfD ist vielmehr mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zu vergleichen.
  4. Der Landtag wurde so gewählt, wie er ist. Das haben wir als Demokraten zu respektieren. Die Wähler haben gesprochen.
  5. Eine Auflösung des Landtags wäre eine Dummheit, weil bei Neuwahlen die AfD wahrscheinlich noch stärker wird. Das bitte aus Weimar lernen!

Zur Frage, ob die AfD eine faschistische Partei ist

Interessantes Material liefert dazu eine Untersuchung von Tobias Kaphegyi (Uni Tübingen), der eine Allensbach-Umfrage zu den persönlichen und politischen Wertvorstellungen der Wähler* verschiedener Parteien, darunter der AfD, ausgewertet hat.

Natürlich fand ich es besonders interessant, meine eigenen Beobachtungen von AfD-Anhängern bestätigt zu finden. Die starke Orientierung auf hemmungsloses Ausleben egoistischer Wünsche, vor allem Konsumwünsche; die besonders allergische Reaktion auf „Grüne“ im weitesten Sinne, die ihnen diese Freiheit anscheinend nehmen wollen (Fahrverbote, Tempolimit, Veggie-Day, Plastikverbot usw.) – genau das ist mir 2019 beim Besuch einer AfD-Veranstaltung in Ostwestfalen sehr deutlich und unangenehm aufgefallen.

Wie viel Faschismus in der AfD steckt, geht aus den Umfragedaten zunächst nicht hervor. Etwas faschistisches Potenzial schimmert durch in dem überproportional starken Wunsch der AfD-Wähler nach Einigkeit in der Gesellschaft. Und in der am Ende beschriebenen Motivlage, die sie nach Sündenböcken suchen lässt, die ihre meritokratisch begründeten „Rechte“ (eigentlich Vorrechte, Privilegien) angeblich manipulativ beschneiden. (Eine Meritokratie ist die Herrschaft oder Dominanz einer Leistungselite, die glaubt, ihre Führungsposition durch eigene Leistungen verdient zu haben.) Ohnehin ist mein Eindruck, dass es sich bei den Nationalkonservativen überwiegend um Schichten handelt, die um den Verlust einer zuvor genossenen Machtposition (Dominanz) in der Gesellschaft bangen. Z. B. Arbeiter und Angestellte von Auto-, Chemie- und Energiekonzernen, die traditionell als Kerngruppe der deutschen Wohlstandsproduktion abgefeiert wurden und nun plötzlich als Verursacher von Umweltschäden und Klimawandel geschmäht und abgehalftert werden. Dafür hassen sie Greta Thunberg wie die Pest.

Bei dem Wert „Recht und Ordnung“, den sie hoch halten, kann man darüber streiten, wie faschistisch das ist. Wenn ich historische Vergleiche anstelle, erscheint mir diese Orientierung zunächst eher traditionell-konservativ und nicht spezifisch faschistisch. Adenauer hat in den 50er Jahren die gleiche Karte ausgespielt. Dass die AfDler diese Vorliebe mit einer starken persönlichen Orientierung am Ausleben von Spaß verknüpfen, ist historisch allerdings neu und erscheint merkwürdig widersprüchlich. Oder? Eine Jeunesse dorée?

Für die Faschismusfrage ist entscheidend, wie viel Gewaltpotenzial in der Motivlage steckt. Werden sie klatschen, wenn ein Ende-Gelände-Aktivist von einem Wachmann oder einem Lkw-Fahrer getötet wird? Hedonismus ist, wie ein Freund von mir mal sehr treffend formuliert hat, wahrscheinlich eine Sicherung auf diesem Weg in den Bürgerkrieg. Insofern hat es sein Gutes, wenn die AfD-Anhänger so spaßorientiert sind. In der erwähnten Versammlung habe ich selbst offen zum Klimaschutz gesprochen. Ich fühlte mich zwar abgestoßen von dem völlig unverhohlen zur Schau getragenen materiellen Egoismus der Leute, aber nicht persönlich bedroht.

Wenn es so ist, dass das Gewaltpotenzial dort relativ gering ist, dann müssen wir, denke ich, unsere Antifa-Reflexe überdenken, soweit es um die AfD geht.

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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