„Pazifisten sehen zu, wie andere gequält werden.“

Ein Auszug aus dem Kapitel Dogmen über Krieg und Frieden”: Im Sommer 2014 löste Margot Käßmann mit einem Spiegel-Inter­view* eine Kontro­verse um die Frage aus, ob Deutsch­land sich mit Waffen­lie­fe­rungen am Krieg gegen die syrisch-iraki­sche Terror­truppe »Islami­scher Staat« betei­ligen soll.  Schon den Titel »Beten mit den Taliban« hatte der »Spiegel« geradezu infam gewählt, unter­stellte er doch, Käßmann habe in dem Inter­view dafür plädiert, man solle mit den Taliban beten, statt gegen sie Krieg zu führen.

Dabei zitierte Käßmann diese Formu­lie­rung dort als eine Unter­stel­lung, die bestimmte Gegner geäußert hatten. (Ich empfehle, daraus lernend, die Faust­regel: Wenn du inter­viewst wirst, zitiere niemals deine Gegner! Es könnte dir als deine eigene Meinung in den Mund gelegt werden.)

Käßmann plädierte gegen Waffen­lie­fe­rungen in ein Kriegs­ge­biet, ihre bischöf­li­chen Kollegen Wolfgang Huber und Nikolaus Schneider plädierten dafür. Dabei sagte Schneider, gegen die Pazifistin gerichtet: »Das Evange­lium gebietet aber nicht zuzusehen, wie andere gequält, geköpft, versklavt werden.« Die Redak­teure von ZEIT Online machten daraus die Überschrift und verkürzten den Satz zu: »Nicht zusehen, wie andere gequält werden«;**  direkt darunter setzten sie das Foto eines jesidi­schen Mädchens, »das vor dem IS-Terror geflohen ist«.  Beide Beispiele (»Der Spiegel« und »Die Zeit«) zeigen, wie massiv auch liberale und seriöse westdeut­sche Massen­me­dien in eine politi­sche Debatte eingreifen können, wie geschickt sie es verstehen, bei ihren Lesern die gewünschten antipa­zi­fis­ti­schen Emotionen auszu­lösen.

Das beliebte Basta!-Dogma in allen antipa­zi­fis­ti­schen Diskus­sionen beruht auf einer Unter­stel­lung und enthält einen prinzi­pi­ellen Denkfehler. Er unter­stellt, dass Pazifisten tatenlos zusähen (oder gar wegsähen), wenn zum Beispiel Jesiden im Irak gequält und getötet werden. Diese Unter­stel­lung ist infam, weil es in Wirklich­keit gerade Pazifis­tinnen wie Margot Käßmann sind, die sich aktiv und mutig für die Aufnahme von Flücht­lingen aus Syrien und dem Irak einsetzen und dabei Anfein­dungen durch fremden­feind­liche Anwohner ertragen. Sie ist doppelt infam, weil es gerade Pazifisten sind, die oft schon Jahre vor dem Ausbruch von Bürger­kriegen an die Probleme und Konflikte in den betrof­fenen Ländern erinnert und fried­liche Lösungen vorge­schlagen haben. Dabei wurden und werden sie meist von den gleichen Journa­listen totge­schwiegen, die sich später, wenn der Krieg, wie befürchtet, ausge­bro­chen ist, eilig als Schwarm über den Blutla­chen getöteter Menschen einfinden. Und die nun gerade werfen dann den Pazifisten vor, sie würden wegsehen oder tatenlos zusehen!

Der Denkfehler dieses Dogmas besteht in der Annahme, dass es nur die eine Alter­na­tive gebe: entweder Schießen oder Nichtstun. Zum Glück werden Polizisten darin geschult, andere Auswege aus gefähr­li­chen Situa­tionen zu finden. Wäre das nicht so, gäbe es viel mehr Schie­ße­reien mit tödli­chem Ausgang in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz. Das ist wohl der wichtigste Unter­schied zwischen Polizisten und Soldaten – und zugleich ein guter Grund, der für aktive Notwehr und Nothilfe spricht, wie sie von Polizisten geleistet wird, und gegen Kriegs­ein­sätze, die von Soldaten geführt werden.

Ihr Wider­spruch:
Niemand hat so viel gegen Krieg­ver­bre­chen getan wie Pazifisten.

*Beten mit den Taliban. Der Spiegel 11.8.2014
*N. Schneider: Nicht zusehen, wie andere gequält werden. Zeit Online 31.8.2014

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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