Wenn Antikapitalisten gegen Habeck und den Klimaschutz zu Felde ziehen

Der rötlich schillernde (und dem Autor persönlich bekannte) Kölner Investigativ-Journalist Werner Rügemer hat im Online-Magazin Manova (früher Rubikon) eine große Abrechnung mit dem „Klimaschutzfanatiker“ Robert Habeck und anderen angeblichen „Umwelt-Lügnern“ der Grünen veröffentlicht. Der Artikel strotzt vor irreführenden Halb- und Viertelwahrheiten; die wenigen wirklich bedenkenswerten Kritikpunkte, etwa beim Thema Grundwasser, decken Rügemers Stoßrichtung gegen Habeck und den Klimaschutz nicht. Das Ganze scheint von links zu kommen, reiht sich politisch aber ein in den konservativen Rollback, den die Energiewende-Expertin Claudia Kemfert schon 2017 so charakterisierte: „Das fossile Imperium schlägt zurück.“

Die Einleitung des Artikels macht mit zwei Enten auf: Weder hat der Bundesrechnungshof pauschal im AfD-Stil festgestellt, dass die Klimapolitik der Bundesregierung „Industrie und Wohlstand gefährdet“, noch hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) behauptet, dass die Klimapolitik die Gesundheit gefährde. Vielmehr kritisierte der Bundesrechnungshof im März 2024 genau andersherum, dass Deutschland seinen ambitionierten Klimazielen hinterherhinke, u. a. aufgrund des schleppenden Ausbaus des Stromnetzes. Der SRU stellte im Juni 2023 in einem Sondergutachten fest, dass die Gesundheitsfolgen von Klimakata­strophen wie z. B. extremen Hitzewellen sowie vom Feinstaub des Straßenverkehrs zu wenig beachtet würden. In Europa seien 15 % der Todesfälle auf umweltbedingte Risikofaktoren zurückzuführen. Beide Institutionen kritisierten also nicht den Klima­schutz, sondern gerade die Lücken im Klima- und Umweltschutz, die von den Lobbyisten der Autokonzerne und anderer privilegierter Gruppen meist über die FDP gegen den „Klimaschutzfanatiker“ Habeck und die Grünen durchgesetzt wurden. Der Ausbau des Stromnetzes wird z. B. seit Jahren von der bayerischen Landesregierung im Verein mit dem Bauernverband ausgebremst. Es ist also nicht der Klimaschutz, sondern der hartnäckige Widerstand gegen den Klimaschutz, der die Versorgungssicherheit und den Wohlstand vieler Menschen gefährdet. Zum Beispiel der Menschen, die in Flusstälern wohnen.

Im Weiteren spießt Rügemer auf, dass Habecks Ministerium »Wirtschaft und Klimaschutz« heißt; Natur und Umwelt seien aus dem Portfolio „entfernt“ und in ein unwichtiges Sonderministerium „ausgelagert“ worden: er schlussfolgert dann flugs, die neue Wirtschafts- und Klimaschutzpolitik könne getrost gegen Natur- und Umweltbelange verstoßen. Das ist eine, gelinde gesagt, ahistorische Deutung. Vor 2021 gehörten weder der Klimaschutz noch Umwelt- und Naturschutz zum Aufgabenbereich des Wirtschaftsministeriums, sondern alle drei Felder waren dem Umweltministerium zugeordnet. Habeck und die Grünen haben 2021 durchgesetzt, dass zumindest offiziell Wirtschaftspolitik nicht mehr ohne Klimaschutz gemacht werden kann. Das war aus Sicht des Feldes Klima, Umwelt, Natur kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt.

Das Grundwasser, der Klärschlamm und andere Dilemmata

Sodann versucht Rügemer, seine These von der Umweltfeindlichkeit grüner Politik mit zahlreichen Details aus der Wasserwirtschaft zu belegen. Diese sind, für sich genommen, eine solide Kritik an jahrzehnte- oder gar jahrhundertelangen Versäumnissen deutscher Regierungspolitik und Gesetzgebung. Rügemer weist selbst in einem langen Vierergespräch zum Thema, ebenfalls auf Manova, darauf hin, dass die von ihm kritisierten Grundwasser-Entnahmerechte von Konzernen auf den Beginn der Industrialisierung, also aufs 19. Jahrhundert zurückgehen. [Dort ab Minute 17:55.]

Was hat das mit Habeck und der Klimaschutz­politik der 2020er Jahre zu tun? Rügemer behauptet einfach dreist, ohne irgendeinen Zusammen­hang aufgezeigt zu haben: „Zum Klimaschutz à la Habeck gehört die systemische Verknappung, Verschmutzung, Vergiftung des Grundwassers und des Trinkwassers.“ Die übrigens von meinem Umweltverband BUND seit vielen Jahren angeprangert wird. Man könnte Habeck allenfalls vorwerfen, dass er es noch nicht geschafft hat, die heiligen deutschen Chemiekonzerne zu entmachten und, zumndest teilweise, zu enteignen. Ich wäre durchaus dafür, fürchte aber, dass Manova-Autor Uwe Froschauer dann mit verzehnfachter Wut gegen den „Misswirtschaftsminister“ Habeck antoben würde, der angeblich gezielt und systematisch „die deutsche Wirtschaft ruiniert“ (Manova 20.4.2024).

Aus den Faultürmen der Kläranlagen, stellt Rügemer richtigerweise fest, entweicht das klimaschädliche Gas Methan. Doch das hat nichts mit den (durchaus kritikwürdigen) Einleitungs-Sonderrechten von Unternehmen und Krankenhäusern zu tun, sondern mit den enthaltenen Fäkalien. Würde man den Klärschlamm wie früher als Dünger auf die Äcker schaffen, würde das Methan eben dort entweichen. Auch hier entsteht kein Zusammenhang mit Habecks Klimaschutzpolitik. Sodann wendet er sich gegen den CO2-Ausstoß der Müllverbrennungsanlagen. Doch was geschähe, würde man den Müll nicht verbrennen, sondern wie früher deponieren? Dann würde aus den Deponien Methan entweichen und die im Müll enthaltenen Gifte würden das Grundwasser belasten, das Rügemer doch an anderer Stelle so wichtig ist.

Auch der Bundesrechnungshof schlägt sich in seinem Bericht mit solchen Dilemmata herum. Einerseits kommt der teure Ausbau des Stromnetzes nicht schnell genug voran, was die Versorgungs­sicherheit gefährdet. Andererseits sind die Strompreise, die den Ausbau mitfinanzieren sollen, für deutsche Verbraucher zu hoch. Die Rechnungsprüfer wissen dafür keine Lösung, aber auch sie verschweigen einen wichtigen Grund: Die Strompreise für Verbraucherinnen sind auch deshalb so hoch, weil industrielle Großverbraucher, z. B. Aluminiumwerke, fast gar nichts für ihre Stromversorgung bezahlen müssen. Das ist angeblich nötig, damit deutsches Aluminium auf dem Weltmarkt konkurrenz­fähig bleibt. Eine ganz ähnliche Situation also wie bei den Grundwasserrechten bestimmter Konzerne.

Was sollen solche Kurztripps durch die realen und schwierigen Dilemmata der Umwelt-,  Klima- und Industriepolitik? Was sollen sie anderes als konservativen Demagogen wie Trump, Orban und Froschauer als Ausflüchte dafür dienen, dass sie den ganzen Klima-Umwelt-Natur-Klimbim getrost für die nationale Industrie platt machen dürfen?

Fracking-Gas? Irrtum

Nein, Habeck kauft nicht, wie Rügemer behauptet, das (in der Tat) extrem umweltfeindliche US-Frackinggas. Die Flüssigerdgas-Terminals, deren Bau er massiv fördert, verarbeiten vor allem verflüssigtes Erdgas (englisch LNG) aus Katar. Das wird nicht durch Fracking gewonnen, sondern durch konventionelle Bohrungen. Trotzdem ist die ganze Flüssiggas-Infrastruktur klima- wie naturschutzpolitisch höchst bedenklich, zudem offensichtlich überdimensioniert. Hier gebe ich Rügemers Kritik im Prinzip Recht. Sogar die angeblich von US-Konzernen ferngesteuerte Wikipedia (eine Rügemer-These) schreibt, dass bei Entfernungen unter 5000 km in der Regel Pipelines das Erdgas klimafreundlicher und zugleich wirtschaftlicher transportieren als Flüssiggastanker. Russisches Erdgas wäre also aus Sicht des Klimaschutzes zu bevorzugen.

Die teilweise bedenklichen Lieferketten der E-Autos und E-Bikes werden seit vielen Jahren intensiv diskutiert, auch von den Grünen, z. B. im Juni 2022 von der Bundestagfraktion (dort im Abschnitt „Ökologisch klar im Vorteil“). Der hämischen Nachhilfe durch den rötlich schimmernden Rügemer bedurfte es da wohl nicht. Ich wundere mich derweil darüber, dass so intensiv über die Lieferketten von E-Autos diskutiert wird, aber höchst selten über die mindestens genauso problematischen Lieferketten von Verbrennerautos. Es waren nicht die Grünen, sondern CDU/CSU und FDP, die versucht haben, die deutsche Zustimmung zur Lieferkettenrichtlinie der EU zu torpedieren, weil diese dort endlich mehr Klarheit schaffen könnte.

Konservative Stoßrichtung

Habecks Zustimmung zur etwaigen Kohlendioxidspeicherung im Meeresboden (CCS) ist natur- und klimapolitisch vermutlich ein schwerer Fehler. Nur hat die berechtigte Kritik daran, die z. B. der BUND äußert, eine ganz andere Stoßrichtung als bei Rügemer: Der BUND kritisiert die Gefahr, dass CCS die Klimaschutzziele der Regierungen aufweichen könnte und zugleich, dass diese Technologie einem veralteten, irrational-technokratischen Größenwahn entspringe. Rügemers Artikel dagegen hat die konservative Stoßrichtung, den Klimaschutz an sich für alle dort angesprochenen Mängel und Gefahren verantwortlich zu machen. Das wirft die Frage auf, lieber Werner: Gibt es eine menschengemachte Klimakatastrophe oder gibt es sie nicht? Auf welcher Seite stehst du hier? Und wieso konstruierst du einen Scheingegensatz zwischen Klimaschutz und dem Umweltschutz bei Feinstaub aus dem Autoverkehr? Beides muss doch von den gleichen Akteuren gegen die gleichen Gegner durchgesetzt werden, z. B. gegen deutsche Autokonzerne mit ihrem auf überschwere Dieselautos und überbreite Räder ausgelegten Marketing.

Dann hat Werner mal wieder Recht: Er zeigt auf den blinden Fleck der Grünen, wenn es um Klima- und Umweltzerstörung durch das Militär geht. An der Stelle fände ich sogar mal das Wort Fanatismus angebracht, angewandt auf grüne Politikerinnen und -tiker.

Arbeiteraristokratie und Grundschullehrerinnen

Weiter hinten bemüht Werner die üblichen (und wie üblich völlig unbelegten) Ausfälle gegen die angeblich „elitäre Klientel“ der Grünen. Welcher Mikrozensus hat festgestellt, dass Wählerinnen und Wähler der Grünen (also z. B. Grundschullehrerinnen) überdurchschnittlich oft 350 PS schwere E-SUVs mit Sonderspeichen und Satellitenstreaming kaufen? Das ist doch ein Popanz, den du selber konstruierst! Selber? Nein, denn es ist ein beliebter Topos vieler deutscher Journalisten; ich habe ihn schon oft in den von dir sonst so gehassten »Qualitätsmedien« gelesen.

Genosse Werner tut so, als müsse er die Betriebsräte und Beschäftigten von Bayer, VW und RWE vor dem Klimafanatismus Habecks schützen. Doch was der Betriebsrat des Bayer-Konzerns dazu sagen wird, wenn Grundwasser-Werner sich durchsetzt und Bayer für das Grundwasser, das der Konzern auf seinem Gelände fördert, plötzlich anständige Preise bezahlen muss, das kann ich mir bereits lebhaft vorstellen. Deshalb ist in dem Pamphlet keine irgendwie schlüssige Linie zu erkennen, sondern nur der eine Nenner: Alles, was man gegen Habeck und die Grünen finden kann, bitte in diesen rot-gelb-blau gestreiften Topf. In einer Zeit, in der Friedrich Merz, die Bild-Zeitung, der Bauernverband und die AfD sich auf den gleichen gemeinsamen Feind eingeschossen haben, reiht sich der rötliche Klassenkämpfer in die gleiche Querfront ein. Ja, alles klar: Die Grundschullehrerin und die Physiotherapeutin, die mit dem E-Bike zur Arbeit fahren, Tofu essen und 2021 die Grünen gewählt haben, die repräsentieren die verhasste akademisch-urbane Elite, die angeblich Deutschlands Untergang besiegelt. Ein Betriebsrat, der die dreifach höher bezahlte, mercedes-bewaffnete Arbeiteraristokratie einer Industriebranche vertritt, die seit hundert Jahren von allen deutschen Regierungen als heiliges Symbol deutschen Schaffens und deutschen Siegens gehegt und gepflegt wurde, der repräsentiert aus Prinzip die stets erniedrigte und beleidigte Arbeiterklasse. So war es 1932, als die KPD gegen Sozis und Angestellte Front machte, und so muss es auf immer bleiben. Diese verfluchte Dummheit, lieber Werner, ist es, die unsere Wege in die Niederlagen pflastert.


Quellen:

Werner Rügemer: Die Umwelt-Lügner. Klimaschutzfanatiker wie Robert Habeck zerstören die Umwelt und tun damit das Gegenteil dessen, was ihr Ökoimage suggeriert. Manova 23.3.2024

Claudia Kemfert: Das fossile Imperium schlägt zurück. Warum wir die Energiewende jetzt verteidigen müssen. Murmann, Hamburg 2017

Bundesrechnungshof: Energiewende nicht auf Kurs: Deutschland hinkt seinen ambitionierten Zielen hinterher. Bundesrechnungshof.de, Pressemitteilung 7.3.2024  

Umwelt und Gesundheit konsequent zusammendenken. SRU Sondergutachten 19.6.2023

Christa Dregger, Matthias Mend und Werner Rügemer: „Bis zum letzten Tropfen“. Im Gespräch mit Walter van Rossum. Manova 30.3.2024.

Durstige Industrie: Geschlossene Kreisläufe schützen Ressource Wasser. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Pressemitteilung 19.3.2024

Uwe Froschauer: Der Misswirtschaftsminister. Manova 20.4.2024

Elektromobilität auf die Überholspur bringen. Bündnis 90 Die Grünen Bundestagsfraktion, 9.6.2022

Klimaschutz statt CO2-Endlager! Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland 2023

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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