AfD verbieten? Ein inneres Streitgespräch

Es disku­tieren zwei meiner inneren Stimmen: Georg der Antifa­schist und Carl der Pazifist.

Georg: Stimmt es, Carl, dass du gar nicht für ein AfD-Verbot bist?

Carl: Ja, das stimmt. Ich halte ein Verbot dieser Partei für eine schlechte Idee.

Georg: Wie kommst du denn da drauf? Bist du unter die Naziflüs­terer gegangen?

Carl: Und du? Bist du unter die Möchte­gern-Dikta­toren gegangen? In einer Demokratie gehört es sich nicht, Parteien zu verbieten, die der Mehrheit nicht passen. Deshalb sehe ich den Ball in deinem Feld. Wie kommst du darauf, die AfD verbieten zu wollen? Das wäre ja wohl eine krasse Ausnahme vom demokra­ti­schen Prinzip. Also musst du zuerst begründen. Zumal alle unsere Nachbar­länder –­ Frank­reich, Italien, Belgien, die Nieder­lande, Tsche­chien zum Beispiel – nicht daran denken, natio­na­lis­ti­sche, rassis­ti­sche und faschis­ti­sche Parteien wie die Le-Pen-Truppe, die Meloni-Truppe oder die Wilders-Truppe zu verbieten.

“Gesichert rechtsextrem” – also eine Nazipartei?

Georg: Meinet­wegen. Der Varfas­sungs­schutz hat gerade festge­stellt, dass die AfD als Ganzes „gesichert rechts­extrem“ ist, also praktisch eine Nazipartei. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie gebietet uns, gegen Nazis wirksam, notfalls auch mit Verboten, vorzu­gehen, ehe sie die Möglich­keit bekommen, eine neue Nazidik­tatur zu errichten.

Carl: Hältst du den Verfas­sungs­schutz neuer­dings für eine vertrau­ens­wür­dige Organi­sa­tion? Hatte der Verfas­sungs­schutz nicht die NPD fast komplett gesteuert? Wodurch ein Verbot durch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt unmög­lich wurde?

Georg: Offenbar hat er aus dem damaligen Desaster etwas gelernt. Er hat erkannt, dass die rassis­ti­sche Hetze der AfD völkisch orien­tiert ist und somit verfas­sungs­widrig, weil sie gegen die Gleich­heits­grund­sätze und das Diskri­mi­nie­rungs­verbot in Artikel 3 Grund­ge­setz gerichtet ist. Offenbar will die AfD diese Grund­lagen der Demokratie und der offenen Gesell­schaft abschaffen. Davor müssen wir vor allem die Migran­tinnen und Migranten in Deutsch­land schützen.

Carl: Das ist ein plausi­bles Argument, in der Tat. Doch ich gebe zu bedenken, dass wir die Migran­tinnen und Migranten auch vor der CDU/​CSU und zum Teil sogar vor der SPD schützen müssen. Da helfen Partei­ver­bote nicht weiter. Artikel 3 Satz 3 ist tatsäch­lich eine schlag­kräf­tige Waffe gegen Rassisten aller Art: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seiner religiösen oder politi­schen Weltan­schauung benach­tei­ligt oder bevor­zugt werden.“ Das bedeutet: Weiße dürfen nicht gegen­über Schwarzen, Christen nicht gegen­über Muslimen bevor­zugt werden. So steht es seit 1949 im Grund­ge­setz, wir können es gar nicht oft genug zitieren. Leider sieht die Wirklich­keit in Deutsch­land anders aus. Diese Verfas­sungs­norm ist noch lange nicht durch­ge­setzt. Deshalb taugt sie meines Erach­tens nicht als Begrün­dung für ein Partei­verbot. Ich fürchte, dass mindes­tens 40 Prozent der Deutschen ihre Mitmen­schen nach Geburts­kri­te­rien, also praktisch völkisch einteilen. Willst du 40 Prozent zu Nazis und Verfas­sungs­feinden erklären und mit Meinungs­verboten traktieren?

Georg: Du übertreibst. Die sind ja nicht alle Nazis, nur weil sie ihren Töchtern davon abraten, sich von einem Schwarzen schwän­gern zu lassen.

“Wer KZ-Lager errichten will, ist ein Nazi.”

Carl: Nein? Da bin ich ja beruhigt. Gut, sie sind im Allge­meinen nicht dafür, KZ-Lager zu errichten. Das könnte ein gutes Krite­rium für „Nazi“ sein. Wer KZ-Lager errichten will, ist ein Nazi. Demnach ist die AfD keine Nazipartei. Sie will keine KZ-Lager.

Georg: Will sie nicht? Wer eine gewalt­same „Remigra­tion“ großer Bevöl­ke­rungs­gruppen plant, wird auch KZ-Lager brauchen, um die große Depor­ta­tion abzuwi­ckeln. Wir müssen damit rechnen, dass das die Konse­quenz ist.

Carl: Ja, da gebe ich dir Recht. Tatsäch­lich müssen wir der AfD klar machen, dass sie wahrschein­lich verboten wird, sobald sie gewalt­same Depor­ta­tionen von Migran­tinnen und Migranten, die seit vielen Jahren in Deutsch­land leben, offen anstrebt. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Sonst hätte der Verfas­sungs­schutz es wohl in seiner Begrün­dung erwähnt.

Georg: Haha, jetzt glaubst du selber dem Verfas­sungs­schutz!

Carl: Nein, ich glaube ihm nicht. Bei einem Partei­verbot kommt es auch gar nicht auf den Geheim­dienst an, im Gegen­teil: Das Bundes­verfassungsgericht hat in früheren Verfahren klar gemacht, dass ein Partei­verbot sich nicht auf Material stützen darf, das verdeckte Agenten und Ermittler gesam­melt haben. Es darf sich nur auf öffent­lich zugäng­liche Quellen stützen. Sonst wäre es kein rechts­staat­li­ches Verfahren. Und anhand öffent­lich zugäng­li­cher Quellen strebt offenbar weder die AfD als Organi­sa­tion noch eine maßgeb­liche Anzahl ihrer Funktio­näre eine gewalt­same Depor­ta­tion an; sie ist also keine Nazipartei.

Georg: Sondern? Was ist sie denn, deiner Meinung nach?

Carl: Eine zum Teil natio­nal­kon­ser­va­tive oder deutsch­na­tio­nale, zum Teil natio­nal­li­be­rale und zum Teil faschis­ti­sche Partei.

Georg: Also doch Nazi, wenigs­tens zum Teil!

Sind Faschisten Nazis?

Carl: Nein, ich unter­scheide da. Faschisten sind Leute, die politi­sche Gewalt­taten und Morde offen befür­worten oder verherr­li­chen. Das ist bei Teilen der AfD-Funktio­näre der Fall. Nazis sind für mich ausschließ­lich Leute, die sich das Nazire­gime von 1933 bis 1945 oder wichtige Teile davon wie die KZ-Lager zum Vorbild nehmen.

Georg: Auch der faschis­ti­sche Teil ist ein Verbots­grund. Gut dokumen­tiert ist die Zusam­men­ar­beit dieser Leute mit faschis­ti­schen Gewalt­tä­tern. Die AfD bildet das Meer, in dem diese Haifi­sche schwim­men und töten können.

Carl: Das ist ein gutes Argument, im Prinzip. In der Praxis führt es aber dazu, dass kein politi­scher Kampf geführt wird, sondern ein krimi­na­lis­ti­scher. Es geht dann nur noch um Einzel­fälle, einzelne Episoden, und niemand kann sagen, wie bedeu­tend sie sind. Jede davon kann auch neben­säch­lich sein. Ich möchte das Problem grund­sätz­li­cher angehen und komme deshalb noch mal auf den Artikel 3 Grund­ge­setz zu sprechen; der Aspekt war dem Verfas­sungs­schutz offenbar das wichtigste Argument für die Einschät­zung „gesichert rechts­extrem“. Doch auch die Katho­li­sche Kirche verstößt syste­ma­tisch gegen die Artikel 3.2 und 3.3, bezogen auf Männer und Frauen, wenn sie Frauen in ihrer Organi­sa­tion benach­tei­ligt. Man kann sie aber nicht als verfas­sungs­feind­lich verbieten. Für sie gilt gewis­ser­maßen ein älteres Recht, das vom Grund­ge­setz vorläufig toleriert wird, obwohl es nicht konform ist.

Georg: Welches ältere Recht könnte die AfD für ihr völki­sches Deutschtum in Anspruch nehmen, wenn nicht das Nazirecht?

Carl: Oh, da gibt es viel mehr. Die prinzi­pi­elle Vertei­di­gung der eigenen Familie, der Heimat­stadt, der Lands­mannschaft, der eigenen Religion – das ist weit verbreitet. Denke nur an Fußball­fans. Bei den Briten hieß das „Right or wrong – my country.“ Das sind uralte Loyali­täten. Man kann Demokratie und Gleich­heit nicht gegen die Mehrheit durch­setzen. Das wäre paradox. Wir müssen diese Haltungen immer wieder kriti­sieren, aber wir können sie nicht verbieten. Das würde eine Haltung, die nur im liberalen Akade­mi­ker­mi­lieu selbst­ver­ständ­lich ist, allen übrigen Menschen auf die Nase drücken.

Georg: Fußball ist ein Spiel. Bundes­tags­wahlen sind kein Spiel, sondern angewandtes Verfassungs­recht. Dort müssen wir strenger sein. Zumal uns die deutsche Geschichte zur Abwehr aller nazi-ähnli­chen Parteien verpflichtet. Das ist hier ein wenig anders als in Frank­reich oder den Nieder­landen.

Carl: Ich denke nicht, dass wir zwölf Jahre der deutschen Geschichte auf ewig zum Maßstab für wesent­liche Ausprä­gungen unserer Demokratie machen müssen. Das wäre zwang­haft. Ich möchte die Freiheit haben, die deutsche Demokratie nach heutigen Maßstäben, Wünschen und Erfor­der­nissen zu gestalten. Die AfD ist nicht nazi-ähnli­cher oder faschis­ti­scher als die Le-Pen-Truppe in Frank­reich, auch nicht gefähr­li­cher. Beide sind gleich gefähr­lich. Aber eine offene Gesell­schaft muss das aushalten und die Gefahren inhalt­lich, mit Argumenten bekämpfen. Ein Verbot würde dem inhalt­li­chen Kampf gegen faschis­ti­sche Positionen schaden, weil sie nicht mehr im demokra­ti­schen Diskurs auftreten, sich nicht mehr mit den Argumenten von Demokraten, Pazifisten, Sozia­listen messen müssen. Sie dürfen es nicht mehr, und dann müssen sie auch nicht.

Georg: Jaja, jetzt kommt gleich der Jammer um die Spaltung der Gesell­schaft.

Carl: Ach was, das meine ich nicht! Die ist eh gespalten, weil es zum Beispiel beim Klima­schutz oder in der Aufrüs­tungs­frage große Inter­es­sen­wi­der­sprüche zwischen verschie­denen Gruppen oder Klassen gibt. Man spricht nicht gerne darüber, alles wird, wie es Mode ist, zu Identi­täten verhack­stückt. Jeden­falls ist die Ebene des politisch-demokra­ti­schen Diskurses um so wichtiger: Da können diese Wider­sprüche offen benannt und ausge­tragen werden, ohne dass darüber Krieg ausbricht. Deshalb ist es falsch, eine starke Meinungs­gruppe aus dem Diskurs auszu­sperren, indem man Organi­sa­tionen verbietet. So etwas kann in den Bürger­krieg führen. Als Pazifist warne ich dringend davor. Abschre­ckende Beispiele sind Algerien und Ägypten. Dort hat man alle Versuche der Dschi­ha­disten oder Muslim­brüder, sich am demokra­ti­schen Diskurs zu betei­ligen, mit blutiger Gewalt unter­drückt. Das Resultat waren Strömungen wie Al-Qaida, die Taliban, der Islami­sche Staat, die Hamas oder auch die Prepper-Szene in Usa. Die AfD hat eine Menge inter­na­tio­nalen Lehrstoff für den illegalen Kampf zur Verfü­gung.

Georg: Ich verstehe, was du meinst. Diese Bedenken müssen wir erwägen. Aber dagegen steht die wachsende Gefahr, die von einer legalen AfD ausgeht. Sie kann immer mehr Geld einsam­meln, staat­li­ches und Spenden­geld, kann mit diesem Geld eigene, auch bewaff­nete Truppen finan­zieren, alles in einer Organi­sa­tion zusam­men­halten, die irgend­wann zuschlägt und die Diktatur errichtet. In diesem Sinne gilt der Satz: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbre­chen.

“Ein Verbot wäre autoritärliberal.”

Carl: Ja, auch diese Gefahr sehe ich. Aber kann man eine Diktatur durch Diktatur verhin­dern? Wir haben gute Chancen, den Aufstieg der AfD im Meinungs­streit zu stoppen. Ein Verbot wäre autori­tär­li­beral und würde eine konfor­mis­tisch liberale, neuer­dings auch milita­ris­ti­sche Haltung aller erzwingen. Denn ich rechne damit, dass einem Verbot der AfD andere Verbote folgen würden. „Für die Ausge­wo­gen­heit“ werden die Konser­va­tiven dann wahrschein­lich auch versu­chen, linke Parteien zu verbieten und Gruppen, die den Krieg gegen Russland und die Aufrüs­tung kriti­sieren. Auf Seiten der AfD würde ein Verbot die separa­tis­ti­sche Grund­hal­tung bestä­tigen: „Was ich denke, darf man in Deutsch­land nicht sagen.“ Und den Reichs­bür­ger­irrtum, Deutsch­land sei immer noch von den Alliierten besetzt und müsse sich national befreien. Vor allem dann, wenn altes Besat­zungs­recht heran­ge­zogen wird, um ein aktuelles Partei­verbot zu recht­fer­tigen.

Georg: Autori­tär­li­beral? Kann es sowas geben?

Carl: Ja, offenbar. Bist du bereit, Alice Weidel in Haft zu nehmen, wenn sie beim Organi­sieren einer illegalen AfD erwischt wird? Wie gehst du dann mit Gegen­demos um, die „Freiheit für Alice“ und „Freiheit für Björn“ fordern? Wasser­werfer, Tränengas, Knüppel – und wir klatschen dazu wie sonst die hinter­letzten Spieß­bürger? Was wird das mit uns machen?

Die AfD auf dem Gebiet der Migration schlagen

Georg: Gute Frage. Ich kann sie nicht beant­worten und stelle deshalb eine Gegen­frage. Du sagtest eben, wir hätten gute Chancen, die AfD im Meinungs­streit zu schlagen. Wie stellst du dir das vor? Müssen wir sie nicht vor allem auf dem Gebiet der Migra­tion schlagen?

Carl: Genau da, denn das ist ihr Brot-und-Butter-Geschäft. Ich denke tatsäch­lich, dass es möglich ist, einer großen Mehrheit klar zu machen, dass die rassis­ti­sche Schimäre „Deutsch­land schafft sich ab“ oder das Gerücht von einem Austausch der Bevöl­ke­rungen grober Unfug ist und leicht wider­legbar. Man kann an tausend Beispielen zeigen, dass Migranten in Deutsch­land, wenn sie ein paar Jahre hier sind, sich an deutsche Gewohn­heiten und deutsche Kultur anpassen. Sogar die Gebur­ten­raten passen sich an. Die Deutschen werden in Deutsch­land niemals majori­siert, weil Menschen mit Migra­ti­ons­ge­schichte immer deutscher werden, staats­bür­ger­lich und kultu­rell. Wenn wir die kultu­rellen Beson­der­heiten Deutsch­lands ebenso pflegen wie die Kultur­land­schaft. An dieser Stelle müssen wir das zentrale Thema der Natio­na­listen und Faschisten mit ihren Sympis ausdis­ku­tieren.

Georg: Die Kultur­land­schaft pflegen? Da ist aller­dings Luft nach oben, sagt mein Kollege, der Natur­schützer. Was hältst du von der Position des bayeri­schen Verfas­sungs­rich­ters Chan-jo Jun? Der hat gesagt, dass uns das Grund­ge­setz eigent­lich dazu verpflichtet, die Verfas­sungs­mä­ßig­keit einer Partei durch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt überprüfen zu lassen, wenn der Verdacht besteht, dass sie verfas­sungs­feind­lich ist.

Carl: Das hat eine juris­ti­sche Plausi­bi­lität. Es geht in seiner Argumen­ta­tion darum, dass die AfD das Partei­en­pri­vileg des Grund­ge­setzes ausnutzt, und dass sie das nicht dürfte, wenn sie verfas­sungs­wid­rige Ziele verfolgt. Der Richter schlägt auch einen eleganten Ausweg aus dem Dilemma vor: Die Bundes­re­gie­rung könnte ein Partei­verbot beantragen, das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt könnte dann mit dem Prüfungs­ver­fahren beginnen; die AfD-Führung könnte sich unter diesem Druck von Personen wie Höcke, die sich offen verfas­sungs­widrig geäußert haben, trennen, und so ihren Kopf aus der Schlinge ziehen. Es wäre also auch ein Erfolg, wenn die AfD am Ende des Prozesses nicht verboten wird.

(Wird fortge­setzt.)

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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