Fritz Fischer: Krieg der Illusionen

Der Krieg als Vater der Illusionen

Ab 2022 wurden deutsche Kriegs­treiber nicht müde, ihre grimmige Freude über das angeb­liche Zerbre­chen von „Illusionen“ der für vergangen und überwunden erklärten Friedens­zeit auszu­drü­cken. Der israe­li­sche Psycho­loge und Histo­riker Eran Rolnik wider­sprach ihnen in einem Vortrag vor dem Sigmund-Freud-Institut: „Der Kriegt wirkt kontra-analy­tisch, und nicht nur, weil er etwas Gewalt­sames ist, sondern weil er unser Verhältnis zur Humanität entzau­bert, unsere Illusionen verstärkt und unbewusste archai­sche Fanta­sien auslöst.“

Das klingt in unseren Ohren ungewohnt, weil wir alle die faschis­ti­sche Propa­gan­da­floskel von der »Humani­täts­du­selei« im Ohr haben. Es waren Faschisten, die Humanität zur Illusion erklärt und ihre Abschaf­fung als Befreiung von Illusionen, als »harten Realismus« verkauft haben. Doch der Psycho­loge Rolnik begründet genauer, warum er es genau umgekehrt sieht:

„Der bekannte Ausspruch (von US-Senator Hiram Johnson): ›Das erste Opfer in jedem Krieg ist die Wahrheit‹, beschreibt, meines Erach­tens, sowohl die Wirkung von Propa­ganda auf jegli­ches objek­tive Wissen während des Krieges, als auch auf das gestörte Verhältnis zur Wahrheit, das der Krieg in sich birgt. Der Krieg verengt durch ein Wirrwarr von bewussten und unbewussten Identi­fi­ka­tionen, die er auslöst, den Zugang zu unserer inneren Realität und beein­träch­tigt somit die Wahrheits­liebe. Psycho­lo­gisch gesehen, kann man Krieg vielleicht mit einem Rausch­mittel oder mit einer misslun­genen Psycho­the­rapie verglei­chen: Man erlebt viel, trans­for­miert recht wenig, und am Ende bleibt fast alles bei Alten.“

Als Histo­riker fällt mir dazu der Hamburger Kollege Fritz Fischer ein, der 1969 die drei Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs einen »Krieg der Illusionen« nannte – so der Titel seines Werkes über „die deutsche Politik von 1911 bis 1914“. Die offizi­ellen Verlaut­ba­rungen der Obersten Heeres­lei­tung dieses Krieges, beson­ders der OHL Hindenburg/​Ludendorff 1916–18, waren ein einziges Wünsch-dir-was-Konvolut. Die Kriegs­treiber warfen und werfen Pazifisten nur zu gerne vor, die schnitzten sich eine Mensch­heit nach ihren Wunsch­vor­stel­lungen zurecht. Doch niemand hat jemals die Produk­ti­vität der belli­zis­ti­schen Illusionen­fabrikation auch nur halbwegs einholen können. Stets reden sie von dem einen kleinen Sieg, der noch nötig sei, um den zukünf­tigen Frieden einschließ­lich deutscher (ameri­ka­ni­scher, israe­li­scher, ukrai­ni­scher, russi­scher) Macht und Herrlich­keit zu garan­tieren. Diese eine Schlacht noch gewinnen, dann wird alles gut! So steuerten kriegs­geile Illusio­näre Deutsch­land nach Versailles 1919 und nach Potsdam 1945, so steuerten sie Japan nach Hiroshima 1945, Usa nach Saigon 1975 und nach Kabul 2021.

2024 und 2025 steuern die Raketen­apostel die NATO-Staaten (und viele andere Staaten wie Russland und China) in eine autode­struk­tive Super-Aufrüs­tung, einen Götzen­kult der Spreng­köpfe und Haubitzen, der nur drei Zwecke hat:

  • Demokra­tien schritt­weise in Militär­dik­ta­turen zu verwan­deln;
  • Klima­schutz, sozialen und ökolo­gi­schen Umbau der Wirtschaft mit allen Mitteln zu stoppen und rückgängig zu machen;
  • und einer winzigen Gruppe von Rüstungs­pro­fi­teuren Billio­nen­pro­fite zu verschaffen, die über Steuern dem Rest der Mensch­heit abgepresst werden.

Grüne, wacht auf! Panzer und Klima­schutz sind unver­einbar! Aufge­rüs­tete Länder sind dazu verdammt, in Hochwäs­sern, Erdrut­schen, Wirbel­stürmen, Waldbränden, Dürren, Hitze- und Flucht­wellen oder im Atomkrieg zu versinken.


Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

2 Gedanken zu „Der Krieg als Vater der Illusionen“

  1. Krieg ist die unmit­tel­bare Folge jenes “Gewalt­mo­no­pols”, ohne das kein Staat jemals auskam (und auskommt), solange es Staaten überhaupt gibt (seit rund 5000 Jahren).
    Wer keinen Krieg will, muß jegli­chen(!) Staat auf Erden abschaffen, denn solange es auch nur einen einzigen Staat gibt, wird es Krieg geben, wenn nicht nach außen (Staaten unter­ein­ander), dann nach innen (Faschismus – Unter­drü­ckung der eigenen Bevöl­ke­rung).
    Das ergibt sich aus der Zielrich­tung des staat­li­chen Gewalt­mo­no­pols: Man versucht mittels mörde­ri­scher Gewalt, mangel­hafte Kompe­tenz, fehlende Übersicht (Größen­ord­nungs­pro­blem!) und fehlende fachlich-sachliche, aus Kompe­tenz und ehrli­cher Anerken­nung, nachweis­baren Leistungen erzeugte Legiti­mität zu kompen­sieren – nach innen und nach außen.

    Der Staat ist die Wurzel allen kriege­ri­schen Übels (Kriege wurden noch nie vom “kleinen Mann” angezet­telt – ausnahmslos von Staaten und deren “Führern”), denn er beruht statt auf Weisheit, Wissen­schaft und Barmher­zig­keit auf Anmaßung, Lüge und – kompen­sa­to­risch und zwangs­läufig aus dieser geballten Inkom­pe­tenz – Mord.
    Ich habe bisher trotz inten­sivster Studien in Geschichte und Gegen­wart noch keinen einzigen Staat entde­cken können, der von diesem Schema grund­sätz­lich abwiche.
    Übrigens: Der homo sapiens sapiens ist ein “Horden­tier” (ehemals Baumbe­wohner), kein Staaten­bildner wie die solitären Wespen, Ameisen und Termiten – es gibt also keinen biolo­gi­schen Grund für den Menschen, Staaten zu bilden! Der Staat ist das Hirnge­spinst von Macht­neu­ro­ti­kern, in naiven Kindheits­mus­tern stecken­ge­blie­benen Gewalt­fe­ti­schisten, Lügnern und Betrü­gern aller Art. Alle gesell­schaft­li­chen Belange könnten genau­sogut ohne Staat organi­siert und alle Probleme auch ohne Staat gelöst werden.
    Angesichts aber der techni­schen Entwick­lung im Bereich Massen­ver­nich­tungs­waffen und Massen­ver­nich­tungs­me­thoden wird das Konzept “Staat” (das aller­dings auch schon ein Ärgernis war, als man noch mit Knüppeln und Steinen aufein­ander losging), heuti­gen­tags mit seinem Festhalten an der Idee, Staats­ge­walt sei legitim, zum globalen Selbst­mord­un­ter­nehmen: Was jedem Zivilisten einleuch­ten­der­weise verboten ist – der Staat (alle, weltweit!) erlaubt es sich: Immer und immer wieder den irrwit­zigen und von vornherein zum Schei­tern verur­teilten Versuch zu unter­nehmen, mit Gewalt Probleme lösen zu wollen. Die Wurzel jegli­chen Staates (und jeden Krieges!) ist also: Dummheit.
    Sollte die Entwick­lung von Gewalt­tech­no­lo­gien aber weiterhin schneller voran­schreiten, als der globale Erkennt­nis­prozeß, dann wird sich die Weltbe­völ­ke­rung mittels globaler staat­li­cher Gewalt unwei­ger­lich und sehr absehbar selber ausrotten – mögli­cher­weise aber dabei auch alles andere Leben auf Erden.
    Die Weltbe­völ­ke­rung muß in den nächsten fünf Jahren die Wende vom Gewalt­kon­strukt “Staat” zur Organi­sa­ti­ons­form der multi­polar, gewalt­frei organi­sierten Zivil­ge­sell­schaft hinbe­kommen, oder unsere eigene Techno­logie radiert uns alle aus – die Mittel dafür existieren schon heute! (Allein mit Atombomen kann die Weltbe­völ­ke­rung schon heute den Planeten zweihun­dert mal unbewohnbar machen – als ob nicht einmal schon einmal zu viel wäre. Geistes­krank die Richter, Juristen und “Gesetz­geber”, die Derar­tiges für rechtens und legitim erklären! Weltweit!)

    1. Der Histo­riker Yuval Harari und der Psycho­loge Steven Pinker sind zu anderen Ergeb­nissen gekommen. Harari schrieb 2011 (Eine kurze Geschichte der Mensch­heit, S. 446–451): Im Jahr 2000 kamen 310.000 Menschen durch Kriegs­folgen und 520.000 durch Mord und Totschlag ums Leben. Das waren nur 1,5 % aller Todes­fälle des Jahres. In den Frühzeiten der Landwirt­schaft starben pro Jahr von 100.000 Menschen bis zu 400 eines gewalt­samen Todes; in den zersplit­terten Staaten des europäi­schen Mittel­al­ters waren es 20 bis 40; heute sind es weltweit 9, in Europa 1. Diesen starken Rückgang führt Harari auf die Autorität der Staaten zurück. In Brasi­lien seien selbst zur Zeit der Militär­dik­tatur in den 1960er und 1970er Jahren die Einwohner von Rio de Janeiro viel sicherer vor Gewalt gewesen als die Yanomamö, eine indigene Gemein­schaft im Norden des Landes. Von daher scheint die Idee des Staates doch eher klug zu sein.

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