Afrikanerinnen bedrohen das christliche Abendland?

Josephine Baker 1949. Foto von Carl van Vechten, aus Wikimedia

Nein. Natio­na­listen bedrohen die christ­liche Botschaft.

Der thürin­gi­sche Kriegs­hetzer Björn Höcke führte 2015 die Flücht­lings­krise auf den „Bevöl­ke­rungs­über­schuss Afrikas“ zurück. Der „lebens­be­ja­hende afrika­ni­sche Ausbrei­tungstyp“ treffe in Europa auf den „selbst­ver­nei­nenden europäi­schen Platz­hal­tertyp“. Können Migrant*en die Mehrheit in Deutsch­land übernehmen? Nein, diese Vorstel­lung geht an histo­ri­schen Abläufen völlig vorbei.

Höcke behaup­tete: „So lange wir bereit sind, diesen Bevöl­ke­rungs­über­schuss aufzu­nehmen, wird sich am Repro­duk­ti­ons­ver­halten der Afrikaner nichts ändern.“ Und natür­lich steht das christ­liche Abend­land wegen dieser Entwick­lung kurz vor dem Unter­gang, Deutsch­land kurz vor der Übernahme durch Millio­nen­massen kraus­haa­riger Trommel­tän­ze­rinnen und fernge­steu­erter „Kopftuch­mäd­chen“ (Thilo Sarrazin).

Das ist einer­seits einfach nur ein elendes Lügen­ge­spinst, so wie alle stinkenden Lügen über Hautfarbe, Sex und Schwan­ger­schaft seit den Kreuz­ver­bren­nungs­feiern des Ku-Klux-Klan. Damals, in den 1960er Jahren, stand das große Land Usa kurz vor der Übernahme durch sexgeile schwarze Jazztrom­peter. Das glaubten George Wallace, Barry Goldwater und andere, doch leider ist nichts daraus geworden – der Welt wären Nixon, Reagan, Bush, Graham, Breit­bart, Palin, Trump, NRA, NSA und manch‘ anderes Unheil vielleicht erspart geblieben.

Kurz zum afrika­ni­schen „Repro­duk­ti­ons­ver­halten“: Die Gebur­ten­raten sinken nach UN-Angaben in Afrika seit Jahrzehnten – von 6,6 Kindern pro Frau in den frühen 1950er Jahren auf 4,7 Kinder in den frühen 2010er Jahren. Nach stärker sinken sie bei afrika­ni­schen Frauen, die in Europa leben – obwohl sie doch eigent­lich, glaubt man Höcke und Pegida, eine Art Auftrag haben, mithilfe zahlrei­cher Kinder die Übernahme der Festung Europa durch bananen­ge­schmückte Josephine-Baker-Girls in die Wege zu leiten. Eine Vorstel­lung übrigens, die der deutsche Schrift­steller Bruno Frank schon 1928 in seiner »Politi­schen Novelle« skizziert hat – damals am Vorbild der echten Josephine Baker, die bei ihm Becky Floyd heißt. Jeden­falls hat das Sinken der afrika­ni­schen Gebur­ten­raten viel mit wachsendem Wohlstand und wachsender Bildung zu tun, null komma nichts jedoch mit der europäi­schen Flücht­lings­po­litik.

Als Histo­riker kann ich über die natio­nal­kon­ser­va­tive Angst­vor­stel­lung, Einwan­derer oder Minder­heiten könnten eines Tages die Mehrheit der Bevöl­ke­rung stellen und dann die Kontrolle über das Land übernehmen, nur den Kopf schüt­teln. In einer Demokratie ist das noch niemals passiert; in kriege­ri­schen Monar­chien und Dikta­turen dagegen ziemlich häufig – von Alexander dem Großen bis Hitler oder Saddam Hussein. Das ist bemer­kens­wert, denn die konser­va­tive Angst­vor­stel­lung hängt sich an der Demokratie auf, an der Vorstel­lung, von anderen majori­siert zu werden. Dagegen soll nach tradi­tio­nell-konser­va­tiver Vorstel­lung die Monar­chie helfen. In der Geschichte jedoch war die Gefahr viel größer, von einer Nachbar­mon­ar­chie oder Nachbar­dik­tatur militä­risch erobert und dann von einer gut bewaff­neten, kleinen Elite unter­drückt zu werden. Das Phantasma der Natio­nal­kon­ser­va­tiven geht an der histo­ri­schen Wirklich­keit glatt vorbei.

Das gleiche gilt für demogra­fi­sche Angst­pro­gnosen. Sie ignorieren die Tatsache, dass die Nachkommen von Migranten selber keine Migranten mehr sind; dass es in Europa schon seit Jahrtau­senden Migra­tion gibt und praktisch alle Europäer Nachkommen von Migranten sind; dass sich die Völker Europas seit jeher vermischt haben, und in vielen Zeiten sogar deutlich schneller und gründ­li­cher als heute. Wenn also Nachkommen türki­scher oder afrika­ni­scher Migran­tinnen eines Tages die Mehrheit in zwei oder drei Bundes­län­dern stellen sollten, dann sind das keine Türkinnen oder Afrika­ne­rinnen mehr, sondern Deutsche. (Eine ziemlich merkwür­dige Vorstel­lung zumal, dass hellhäu­tige deutsche Männer dem Sex-Appeal dunkel­häu­tiger Mädchen wider­stehen können sollten. Sie werden, vermute ich, einiges dafür tun, die Hautfarbe der Kinder dieser Mädchen aufzu­hellen.)

Entschei­dend sind in dieser Frage nicht Gebur­ten­raten, wie man aus der Geschichte Usas lernen kann, sondern Kultur: Welche Vorstel­lungen und Haltungen üben die kultu­relle Hegemonie im Lande aus? Das kann man nicht zuletzt an Schön­heits­idealen erkennen; etwa daran, wie die Heldinnen von Filmen, Fernseh­se­rien oder Compu­ter­spielen aussehen, sprechen, sich benehmen, oder daran, wessen Lieder sie singen. Klaus Harpp­recht schrieb 2006 über die Angst vor dem Aussterben der klassi­schen Musik in Europa: “Selbst wenn es so käme: In Japan, in Korea, in China drängen sich Tausende in den Musik­pa­lästen, um Beethoven und Brahms, Strawinsky und Schön­berg zu hören.” Aber viele Deutsch­na­tio­nale denken borniert natur­wis­sen­schaft­lich-technisch-betriebs­wirt­schaft­lich und sind deshalb weitge­hend taub für kultu­relle Flöten­töne. Nein, taub sind sie nicht; aber sie glauben nicht daran, dass Flöten­töne bedeu­tend sind. In der Geschichte Europas gibt es viele Fälle, in denen sich Eroberer eines Nachbar­landes die Sprache und die Lieder des Volkes angeignet haben, das sie eigent­lich besiegt hatten. Denn es war die Sprache und Kultur ihrer Ehefrauen, ihrer Schwie­ger­el­tern, ihrer Schwäger und Nachbarn.

So, jetzt habe ich schon ziemlich weitschweifig mein Thema verfehlt. Wollte ich nicht ursprüng­lich etwas über christ­liche Werte sagen? Deutsch­na­tio­nale bemühen bekannt­lich gerne das christ­liche Abend­land und spielen in der Manier von Kreuz­rit­tern das Chris­tentum gegen den Islam aus. Sie tun es zu Unrecht, denn wenn etwas in Deutsch­land christ­liche Werte gefährdet, dann ist das jener hemmungs- und rücksichts­lose Egoismus, dessen natio­na­lis­ti­sches Kostüm sich die Pegida-Ganoven so gerne überziehen. Es ist der ekelhafte Egoismus jener Dorfbe­wohner, die eine Flücht­lings­un­ter­kunft anzünden, um zu verhin­dern, dass sie die angestammten Parkplätze für ihre Zweit- und Dritt­autos an henna­haa­rige Sozial­ar­bei­te­rinnen verlieren. Oder eine Wiese, auf der ihr Deutscher Schäfer­hund immer so schön frei kacken und Krähen jagen konnte, an tobende Neger­kinder. Was soll ich noch mehr dazu sagen? Jesus Christus hat uns die Nächs­ten­liebe gepre­digt. Jesus Christus hat uns den barmher­zigen Samariter als Vorbild hinge­stellt. Was zum Teufel sollen Menschen mit Jesus Christus gemein haben, die sich freuen, wenn afrika­ni­sche Frauen und Männer auf der Flucht im Meer ertrunken oder im Kühllaster erstickt sind? Menschen, die Schwä­chere schlagen oder den Tod von Schwä­cheren bejubeln und das für eine Heldentat halten, sind wahrschein­lich Faschis­tinnen. Chris­tinnen sind das nicht.

Jens Jürgen Korff

Siehe auch der bereits erwähnte faszi­nie­rende Essay von Klaus Harpp­recht: Unter­gang des Abend­landes? zeit​.de 14.6.2006. Darin eine glänzende Kritik an der zentralen These des konser­va­tiven Geschichts­phi­lo­so­phen Oswald Spengler, auf den die Floskel vom Unter­gang des Abend­landes zurück­geht.

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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