„Das Kopftuch ist ein Mittelfinger.“ Mag sein. Piercings aber auch.

In der von Birgit Ebel angezet­telten Kopftuch­de­batte wurde auf eine ziemlich indis­ku­table Tirade von Anabel Schunke in der konser­va­tiven Postille »Tichys Einblick« (15.4.2016) verwiesen. Schon der Titel enthält eine schlichte negative Meinungs­these (»Das Kopftuch ist nicht bloß ein Stück Stoff«), die nicht einen Beleg dafür anführt, wer die gegen­tei­lige Meinung überhaupt vertreten hat. Im gleichen Stil geht es durch den ganzen Artikel weiter, ein Basta-Dogma nach dem anderen: »Der Islam sexua­li­siert den Alltag der Gläubigen und das mehr als jede Werbung mit halbnackten Frauen. Frauen können nichts zur Ehre einer musli­mi­schen Familie beitragen. Sie können sie nur beschmutzen.« Lauter steile Thesen, die ohne Belege wertlos bleiben.

Der Anreißer formu­liert Schunkes Haupt­these: »Burka und Niqab sind vor allem ein perma­nent sicht­barer Mittel­finger in Richtung jeder aufge­klärten, emanzi­pierten westli­chen Frau und jeder, die in ihrem Herkunfts­land gegen diese Unter­drü­ckung kämpft.« Wobei Überschrift und Anreißer so tun, als seien Kopftuch, Burka und Niqab das gleiche, was völlig unseriös ist, reine Propa­ganda. Nur zur Erklä­rung: Burkas sind die Horror­teile mit den Gittern vor den Augen. Die gibt es derzeit nur bei den Taliban in Afgha­ni­stan. Wer das Kopftuch, den Hijab, mit der Burka gleich­setzt, setzt wahrschein­lich auch fahrläs­sige Tötung mit Mord gleich, wenn es ihr in den Kram passt. Mit solchen Leuten kann ich nicht disku­tieren, denen kann ich als Gastgeber nur zeigen, wo die Tür ist.

Gut, ich bin hier nicht Gastgeber, also muss ich mich wohl doch noch ein wenig an Schunkes Parolen abarbeiten. Schunke behauptet weiter unten, dass »man den Hijab auch gerne im passenden Moment beschwich­ti­gend« »nur ein Stück Stoff« nenne. Wer denn bitte hat das wann getan? Ohne ein solches Beispiel bleibt das Schaum­schlä­gerei.

Schunke unter­stellt der Klägerin in dem Prozess, um den es im Artikel geht, in Form einer rheto­ri­schen Frage: »Wie groß muss die Rolle des Islams im Leben dieser Frau sein oder zumin­dest der Wunsch, sich optisch provo­kativ von der Mehrheits­ge­sell­schaft in diesem Land abzugrenzen?« Wenn sie deswegen klagt. Das ist eine tauto­lo­gi­sche Beweis­füh­rung. Wenn jemand glaubt, in einem Grund­recht verletzt worden zu sein, darf sie in einem Rechts­staat dagegen klagen und hat ein Recht darauf, dass aus der bloßen Tatsache, dass sie klagt, nicht auf unlau­tere Motive oder eine extreme Geistes­hal­tung rückge­schlossen wird. Andern­falls wäre das Klage­recht gegen Grundrechts­verletzungen praktisch hinfällig. Jeder, der es wahrnimmt, wäre von vorne­herein diskre­di­tiert.

„Das Kopftuch sexualisiert Frauen.“ Ein paradoxes Argument

Das Kopftuch sexua­li­siere Frauen, behauptet Schunke – ein in der Gegne­rin­nen­szene weit verbrei­tetes Argument. Doch ist es nicht paradox? Das Kopftuch soll nach Auffas­sung seiner Anhänger*innen (wozu etwa in Ägypten offenbar viele Mütter von Töchtern zählen) genau das Gegen­teil tun: die Frauen in der Öffent­lich­keit entse­xua­li­sieren. So sieht es auch die Kopftuch­geg­nerin Zana Ramadani: sie spricht von Entweib­li­chung. Anderer­seits wird es, wie Elham Manea berichtet, den Mädchen und Frauen mit der Drohung verkauft, es bewahre sie vor dem Zorn Allahs, der die Sünd­haftigkeit der Frauen nicht ausstehen könne. Also eine negative Sexua­li­sie­rung der Frauen, die hier tatsäch­lich spürbar ist. Das Phänomen ist offenbar komplex. Vielleicht hilft ein Männer­ver­gleich weiter? Welcher Aufzug sexua­li­siert einen Mann mehr: eine eng sitzende Badehose, unter der sich sein Geschlechts­teil abzeichnet, oder ein bürger­li­cher Anzug, der alles, auch Pobacken, Schul­tern und Oberarme, ordent­lich verhüllt?

Zum Schluss noch das Mittel­finger-Argument. Ich gehe davon aus, dass Schunke die in Deutsch­land nicht existenten Burka­trä­ge­rinnen und die in Deutsch­land sehr seltenen Niqab-Träge­rinnen ziemlich egal sind. Sie zielt auf die viel häufi­geren Kopftuch- bzw. Hijab-Träge­rinnen ab, denn um eine solche ging es im Prozess. Diesen also wirft sie vor, ihr Kopftuch sei vor allem als Provo­ka­tion gemeint, als osten­ta­tive Herab­wür­di­gung aller Frauen, denen Frauen­rechte wichtig sind. Ob sie das damit meinen, muss man die betuchten Frauen schon selber fragen; und zwar jede für sich. Das erinnert mich an Punks, die mit Ketten an der Jacke und Ringen in der Zunge, in Lippen und Nasen­flü­geln herum­laufen. Ich mag das nicht. Diese Leute wollen offenbar mich und andere provo­zieren. Wenn ich so drauf wäre wie Anabel Schunke, würde ich sagen: Piercings und Ketten sind ein Symbol der Sklaverei, ein Symbol für Ketten­hunde, also ein perma­nenter Mittel­finger gegen alle, die daran glauben, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

3 Gedanken zu „„Das Kopftuch ist ein Mittelfinger.“ Mag sein. Piercings aber auch.“

  1. Es ist immer proble­ma­tisch, wenn man einem unsach­li­chen Argument mit einem ebenso unsach­li­chen begegnet. Es nützt in der Debatte nichts und verhärtet am Ende nur die Fronten. Mag ja sein, dass der Artikel von Anabel Schunke Kritik verdient hat. Die unsäg­li­chen Vergleiche in diesem Kommentar stehen dem beanstan­deten Niveau aber leider in keiner Weise nach. Unabhängig davon gibt es viele Menschen, Frauen und Männer, Religi­ons­wis­sen­schaftler und Islam-Experten, die die Aussage, dass das Kopftuch-Tragen eine Sexua­li­sie­rung der Mädchen bedeute, teilen. Und sie begründen das auch. Nur weil Frau Schunke die Quellen nicht nennt (was aus journa­lis­ti­scher Sicht vielleicht unseriös erscheinen mag), ist das Argument nicht automa­tisch falsch. Ich gebe zu, dass ich diese Meinung teile, auch wenn ich mit Frau Schunke sonst nichts am Hut habe. Aus sachli­cher Sicht ist es m.E. offen­sicht­lich richtig. Und mir wäre viel wohler, wenn die Befür­worter versu­chen würden, ihre Haltung vernünftig zu recht­fer­tigen, als ignorant und herab­las­send zu reagieren. Das nehme ich in den Debatten darüber nämlich häufig wahr. Kriti­kern wird mit der Haltung begegnet „Ihr habt doch keine Ahnung (vom Islam)“ – selbst wenn diese Kritiker Religi­ons­wis­sen­schaftler sind. Das fördert die Toleranz und Akzep­tanz aber leider ebenso wenig, wie unsach­liche Kritik irgend­je­manden nachhaltig überzeugen wird.

    Ich bin froh, in einer Gesell­schaft zu leben, die über viele Jahrzehnte hinweg u.a. an Dingen wie Meinungs­frei­heit, Demokratie, Gleich­be­rech­ti­gung, Freizü­gig­keit und Säkula­ri­sie­rung etc. gearbeitet hat und das auch weiterhin tut. Ich sehe es mit Schre­cken, wie diese Entwick­lung bei manchen Bevöl­ke­rungs­gruppen offenbar nicht oder nicht mehr ankommt – Menschen, die aus mir unerfind­li­chen Gründen zwar hier leben wollen, aber unsere Gesell­schaft und die unseren Staat prägenden Dinge nicht anerkennen. Ich könnte mir das für mich überhaupt nicht vorstellen. Ich habe z.B. viele hier lebende Türken kennen­ge­lernt, die von der Türkei als ihre Heimat sprechen, in der „alles besser“ ist. Ich frage mich dann oft, warum sie überhaupt hier leben und nicht in die Türkei ziehen. Das soll nicht falsch verstanden werden – natür­lich gibt es in jeder Bevöl­ke­rungs­gruppe unter­schied­liche Menschen und ich werde keine pauschalen Urteile ausspre­chen. Freizü­gig­keit und Toleranz bedeutet natür­lich auch, andere Ansichten hier zu tolerieren. Ich wundere mich nur häufig: wenn ich in einem Land leben würde, dessen Gesell­schaft, Kultur und Staat ich so wenig anerkennen würde und darüber hinaus noch einen Pass des Landes hätte, in dem „alles besser“ ist – mich würde hier nichts halten.

    Zum Thema zurück: ob ein Kopftuch­verbot der richtige Weg ist, weiß ich auch nicht. Die Rolle, die den Mädchen in diesen Gesell­schafts­gruppen zugedacht wird, stimmt mit meinem Bild von einer offenen und gleich­be­rech­tigten Gesell­schaft jedoch nicht überein. Und zur Wahrheit gehört auch, dass den Jungen im Zuge einer patri­ar­chalen Erzie­hung häufig eine entspre­chende gegen­po­lige Rolle zugedacht wird. Auch das stört mich. Mag sein, dass das primär kultu­rell als religiös begründet ist. Dennoch empfinde ich diese Dinge als zusam­men­ge­hö­rend. Und beides passt nach meinem Verständnis nicht gut zu unserer Gesell­schafts­form.

    Dass ein Kopftuch stets wie ein „Mittel­finger“ daher­kommt, sehe ich indes nicht so. Bei Piercings übrigens ebenso wenig. Wie schon gesagt: beides unsach­liche Äußerungen.

    1. wenn ich in einem Land leben würde, dessen Gesell­schaft, Kultur und Staat ich so wenig anerkennen würde und darüber hinaus noch einen Pass des Landes hätte, in dem „alles besser“ ist – mich würde hier nichts halten.

      Das erscheint mir zu schnell geschossen. Erstens sind mir noch keine türki­schen Migranten begegnet, die wirklich in der Türkei alles besser finden als in Deutsch­land. Die, die ich kennen­ge­lernt habe, haben in der Regel auch in Deutsch­land etwas gut gefunden, z. B. den Arbeits­markt oder das funktio­nie­rende Gemein­wesen. Zweitens sind nicht alle türki­schen Migranten wirklich freiwillig hier. Sie sind z. B. deshalb hier, weil sie in der Türkei arbeitslos und arm wären. Oder weil sie im Auftrag ihrer Familien hier arbeiten und Geld verdienen sollen, das dort gebraucht wird. Oder weil ihre ganze Familie hier ist und sie als Kind mitge­nommen hat. Würden Sie wirklich so leicht­fertig alle familiären Bindungen abbre­chen, wenn es Ihnen in einem anderen Land besser gefällt?

  2. Für mich ist das Kopftuch, trotz anderer Meinungen, eine Form der Unter­drü­ckung der Frau durch den Mann.
    Die Frauen scheinen im Islam noch immer im Mittel­alter gefangen.….….….….

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