„Islamisten zielen immer zuerst auf die Frauen ab.“ Glaube ich nicht.

Fortset­zung der Kopftuch­de­batte mit Birgit Ebel und Carolin Meyer. Das Inter­view der konser­va­tiven Zeitschrift »Cicero« mit der arabisch-schwei­ze­ri­schen Polito­login und Demokratin Elham Manea (5.4.2018) ist sehr tiefgründig, sehr diffe­ren­ziert und ein intel­lek­tu­eller Genuss. Zum Beispiel ist Manea eine der wenigen Islam­kri­ti­ke­rinnen, die offen erwägt, welche unter­schied­li­chen persön­li­chen Motive Kopftuch­trägerinnen haben können; die diese Frauen also nicht als Mario­netten einer geheimen Armee­füh­rung abstem­pelt. Doch auch sie will uns hier und da mal ein Dogma unter­ju­beln, das seiner­seits der Kritik bedarf.

Maneas Hinweis am Anfang, dass es zu kurz greife, nur auf islamis­ti­sche Terro­risten zu starren, kann ich nur teilen. Hinter Terro­rismus steht immer eine politi­sche Haltung, die auf politi­scher Ebene erzeugt wird und von viel mehr Leuten geteilt wird als denen, die am Ende zur Waffe greifen. Auch ihre Einschät­zung, dass politi­scher Islamismus weit rechts stehe, also in der Gegend, die in der europäi­schen Geschichte Faschismus heißt, teile ich; übrigens schon seit 1981. Islamisten stellen in Ägypten, Tunesien, der Türkei und Malaysia die Hälfte der Wähler­stimmen, sagt sie. Hier wäre es gut, mehr über die Sozio­logie dieser Wähler­schichten zu erfahren und über die gesell­schaft­li­chen Konflikte in diesen Ländern, etwa zwischen Stadt- und Landbe­völ­ke­rung.

»Wo immer Islamisten aktiv werden, zielen sie als Erstes auf die Frauen ab: auf ihren Körper, ihre Sexua­lität und die Kontrolle darüber.« Dieses feminis­ti­sche Dogma bezweifle ich. Sie zielen auf Herrschaft ab, und beherr­schen wollen sie wahrschein­lich Männer und Frauen gleicher­maßen. Die Dschihad-Propa­ganda zielt vor allem auf junge Männer ab, die sie in ihre Militär­struktur integrieren wollen. Anderer­seits überzeugt mich Maneas Satz, dass Islamisten das Kopftuch benutzen, um ihr Terri­to­rium zu markieren. Dafür liefert sie später auch einen Beleg, nämlich die Erzäh­lung, wie die ägypti­sche Muslim­bru­der­schaft es in den 1980er Jahren geschafft hat, ein Drittel der Studen­tinnen der Univer­sität Kairo unters Kopftuch zu kriegen. Aber es ist unwahr­schein­lich, dass Islamisten so dumm sind, immer als erstes ihr Terri­to­rium zu markieren. Sie werden, je nach Situa­tion, verschie­dene Taktiken auf Lager haben. Die Muslim­brüder in Ägypten hätten jeden­falls, so Manea, unver­hüllten Frauen gedroht, sie würden »den Zorn Gottes auf sich ziehen, da ihr Körper Quelle aller Sünden sei.« Im Koran ist, so Manea, »nie von einem weibli­chen Dress­code die Rede. Doch schafften es die Islamisten, Frauen religiöse Schuld­ge­fühle einzu­impfen.« So beschrieben ist die Entwick­lung für mich nachvoll­ziehbar.

“In Ägypten kenne ich Frauen, die das Kopftuch tragen, weil sie sich das Geld für den Friseur sparen wollen.” (Erham Manea)

Wichtig sind Maneas Hinweise auf verschie­dene Motive von Hijab­trä­ge­rinnen: Es gibt prakti­sche Gründe. »Andere verstehen den Schleier als Ausdruck ihrer religiösen Identität. Wiederum andere tragen ihn als politi­schen Protest. Ein Großteil der Frauen und Mädchen aber wird von ihrem Clan oder ihrer Familie gezwungen, sich zu verhüllen. Manchen wird mit der Hölle gedroht, sollten sie sich dem Kopftuch verwei­gern.«

Also der wichtige Unter­schied zwischen eigenem religiösen Bekenntnis und aufge­zwun­gener Konven­tion; sowie das politi­sche Protest­symbol! In Ägypten haben Islamisten 2012 bei demokra­ti­schen Wahlen die Mehrheit errungen. Seit 2013 werden sie vom Militär­re­gime unter­drückt. Dort kann sich ein Protest für politi­sche Freiheit und gegen Unter­drü­ckung im Tragen eines Hijab ausdrü­cken. Ein weiteres Motiv kann die Hoffnung sein, mit Kopftuch sicherer vor öffent­li­chen Verge­wal­ti­gungen zu sein, wie sie in Ägypten offenbar relativ häufig vorkommen. Die Journa­listin Anabel Schunke hat zudem das Motiv der Provo­ka­tion in »Tichys Einblick« promi­nent heraus­ge­stellt: Manche junge Hijab­trä­gerin unter den Migran­tinnen möchte sich offenbar osten­tativ von den vorge­fun­denen Sitten und Gebräu­chen des neuen Heimat­landes absetzen und provo­kativ auffallen, ähnlich wie Punks mit ihren Ketten und Piercings und vielleicht auch deutsche Sozial­ar­bei­te­rinnen mit ihren hennarot unifor­mierten Haaren. Mag sein, dass sich diese Provo­ka­tion tatsäch­lich gegen das in westli­chen Großstädten übliche feminis­ti­sche und misch­sexu­elle Getue richtet. Auf jeden Fall möge man und frau sich als Gegnerin über jeden dieser Gründe auf andere Art ärgern; das fördert die Empathie­fä­hig­keit, die geistige Beweg­lich­keit und vergrö­ßert den Wortschatz.

Ein Kompli­ment für Maneas Deutung des »Beschützen-Motivs« bei (linken) Feminis­tinnen, Linken und Liberalen, das diese oft davon abhält, die Gefahren des Islamismus und des konser­va­tiven Islam­kults zur Kenntnis zu nehmen. Gut beobachtet! Zugleich fällt mir angenehm auf, dass sie diese Spitze gegen Linke, die zurzeit weltweit ziemlich alt aussehen, nicht überbe­wertet, wie es z. B. Kacem El Ghazzali in der NZZ tat (9.12.2017).

Auf die Frage, warum nur das islami­sche Kopftuch, nicht aber das Kopftuch ortho­doxer Jüdinnen ein Problem sei, antwor­tete Manea: »Weil der politi­sche Islam im Gegen­satz zum ortho­doxen Judentum oder zu christ­li­chen Sekten eine Ideologie ist, die nach weltweiter Macht strebt… Die Kontrolle über die Frau ist jedoch eine der Haupt­stra­te­gien des Islamismus in seinem globalen Dominanz­an­spruch. Das dürfen wir nicht vergessen.« Dieses Dogma ist komplex und erfor­dert eine eigene Kritik.

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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