„Die dummen Verbraucher sind schuld.“ Einspruch, Hohes Gericht!

Ob Tierquä­lerei in der Landwirt­schaft, ob Kinder­ar­beit bei der Textil­pro­duk­tion oder Ausbeu­tung bei Amazon, ob Klima­wandel oder Meeres­ver­schmut­zung – an allem diesem Unheil soll ja immer einer schuld sein: der Verbrau­cher. Die Vertreter dieses Dünkel­dogmas ignorieren, dass unter­schied­liche Menschen auch da, wo es um Verant­wor­tung geht, unter­schied­liche Priori­täten setzen. Außerdem ignorieren sie die Rolle des Staates, der Demokratie.

Jonas Damme zum Beispiel kommen­tierte in der Neuen Westfä­li­schen vom 5.10.2013 einen Bericht über die millio­nen­fache Tötung sog. Eintags­küken in der Hühner- und Hähnchen­zucht : »Solange Hähnchen­brust­fi­lets zu Ramsch­preisen gekauft werden, werden Hersteller die Produk­ti­ons­kosten senken.« Ein schönes Gegen­stück zum Dogma »Öko ist nur etwas für Reiche«; es geht von den gleichen fragwür­digen Prämissen aus. Ärger­lich und unsym­pa­thisch ist aus meiner Sicht schon die dünkel­hafte Klassen-Attitüde, mit der sich hier »die Klugen und Guten« über »die Dummen und Verant­wor­tungs­losen« erheben.

Billigprodukte werden immer gekauft

Betrachten wir zunächst das Beispiel Hähnchen­brust­fi­lets. Zwei Einwände gegen Dammes Satz: Hersteller sind immer bestrebt, ihre Produk­ti­ons­kosten zu senken. Das machen alle, unabhängig vom Verbrau­cher­ver­halten. Würden die Verbrau­cher nur noch höher­wer­tige Hähnchen­brust­fi­lets aus tierfreund­li­cher Haltung verlangen, würden die meisten Hersteller auch diese so billig wie möglich produ­zieren.

Doch auch der erste Teil des Satzes führt uns nicht weiter. Denn für die Verbrau­cher gilt das gleiche: Sie versu­chen ebenfalls, ihre Kosten zu senken. Billig­pro­dukte werden immer gekauft. Es ist ein Markt­ge­setz, dass der jeweils billigste seine Sachen verkauft bekommt. Ein Billig­heimer kann zwar Pech haben und auf seiner Ware sitzen bleiben. Das liegt dann aber daran, dass er von einem anderen unter­boten wurde. Das heißt: Wenn wir darauf warten, dass die Billig­fi­lets in den Kühlre­galen liegen bleiben, dann können wir genau so gut einpa­cken; das wird niemals geschehen.

Die Moralkeule trifft daneben

Doch ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ich den Käufern der Billig­fi­lets keinen Vorwurf machen will. Sie handeln nicht unmora­lisch, weil sie ja nur genau so handeln wie jeder Unter­nehmer, der versucht, seine Kosten zu senken. Was soll das für eine Moral sein, die den Verbrau­chern etwas verbietet, was sie den Unter­neh­mern gestattet?

Dazu kommt: Jeder muss sich damit abfinden, dass viele Verbrau­cher ihre Einkaufs­prio­ri­täten anders setzen als er. Da niemand immer und überall fremde Inter­essen über die eigenen stellen kann, wird fast jeder von uns auf manchen Gebieten bestrebt sein, zunächst an sich zu denken, das billigste Angebot zu kaufen und sich möglichst nicht darüber zu infor­mieren, unter welchen Bedin­gungen es erzeugt wird oder welche langfris­tigen Folgen sein Gebrauch haben könnte (siehe das Dogma »Fahrrad­fahren ist inkon­se­quent«).

  • Wer beim Hähnchen­filet auf artge­rechte Produk­tion und ökolo­gi­sche Krite­rien Wert legt, fährt vielleicht mit dem Auto zum Einkaufen statt mit dem Fahrrad, weil er die Zeit, die er mit der Suche nach Ökofi­lets verbracht hat, woanders wieder heraus­holen will.
  • Wer wegen Umwelt und Klima aufs Auto verzichtet, kann nicht für jedes Mahl den besten aller Hofläden aufsu­chen.
  • Wer unter schwie­rigen ökono­mi­schen Bedin­gungen zwei Kinder groß zieht (und einen 14jährigen Scheu­nen­dre­scher satt kriegen muss), braucht wahrschein­lich ebenfalls ein Auto, muss aber trotzdem auch beim Lebens­mit­tel­ein­kauf sparsam sein.

Alle diese Menschen handeln verant­wort­lich und zukunfts­be­wusst, auch wenn die eine mit ihrem Auto das Klima schädigt, der andere mit seinem konven­tio­nellen Hähnchen­filet die Tierquäler unter­stützt und die dritte sogar beides zugleich tut. Wer noch nie einem Sachzwang persön­liche Zugeständ­nisse gemacht hat, der hole zum ersten Keulen­schlag aus.

Man kann auch mal etwas Schädliches verbieten

Heißt das, man kann gegen tierquä­le­ri­sche Massen­tier­hal­tung nichts machen? Nein, keines­wegs. Man kann dagegen etwas machen, und die Umwelt- und Tierfreunde machen etwas dagegen. Bei den Legehennen haben sie es nach einem jahrzehn­te­langen Kampf gegen die deutschen Hühner­ba­rone (die übrigens in den 2000er Jahren ganz massiv vom damaligen nieder­säch­si­schen Minis­ter­prä­si­denten Chris­tian Wulff unter­stützt wurden) geschafft, größere Käfige durch­zu­setzen. Die sind seit 2007 vorge­schrieben, und die kleineren Käfige, die es vorher gab, sind seit 2007 verboten. Das ist der Weg, um sozial- und umwelt­schäd­liche Dumping-Angebote vom Markt zu verdrängen. Die Parla­mente, die demokra­tisch gewählten Gesetz­geber, müssen entspre­chende Gesetze beschließen. Ein mühsamer Weg, aber er führt zum Ziel. Das gerät leicht aus dem Blick­feld, wenn man immer nur an die Bekeh­rung des »dummen Verbrau­cher« denkt.

Entmün­digen Gesetze die Verbrau­cher? Oh je! Wir haben doch auch den Verkauf von Heroin oder von Leitern mit brüchigen Sprossen verboten, ohne uns groß um entmün­digte Süchtige und Selbst­zer­störer zu sorgen; wissen wir doch, dass ein Heroin­süch­tiger der letzte ist, der stolz auf seine Mündig­keit sein könnte. Außerdem wage ich die Behaup­tung, dass hinter dem Wunsch, »dumme Verbrau­cher« umzuer­ziehen und auf die eigenen Verant­wor­tungs-Priori­täten  zu verpflichten, der größere Entmün­di­gungs­ver­such steckt. Zum Glück ist er, anders als ein Verbot von Eintags­küken, zum Schei­tern verur­teilt.

Jens Jürgen Korff

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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