Der konservative Journalist und »Welt«-Herausgeber Stefan Aust lieferte im Februar 2024 eine historisch anmutende Abrechnung mit dem angeblich grün träumenden »Ampeldeutschland« ab. Der Ökonom und Entwicklungsexperte Helmut Federmann schickte sie mir zu. Der durch und durch konservativ und miltaristisch gestrickten Analyse möchte ich bei fast jedem Satz des bekannten Publizisten widersprechen. Vier Beispiele aus seiner Einleitung:
„Hinter Deutschland liegen 30 paradiesische Jahre.“ Was für ein Unfug! Aust spricht von den Jahren 1992–2022. Ich habe diese Zeit ebenfalls in Deutschland verbracht und erinnere mich: an den kompletten Zusammenbruch aller ostdeutschen Betriebe; eine Tatort-Folge, in der die Kommissare einen ostdeutschen Täter, der eine aufwändige und ungewöhnliche Technik benutzt hatte, verwundert fragten: „Woher können Sie das?“ Er antwortete: „Ich bin seit 12 Jahren arbeitslos. Es gibt nichts, in dem ich nicht fortgebildet wurde.“ An den jahrfünftelangen Krieg in Jugoslawien mit deutscher Beteiligung. An die Selbstzerstörung der Grünen in diesem Krieg. An die systematische Zerstörung der Deutschen Bahn und der Deutschen Post und des sozial-ökologisch vorbildlichen Verbundes der beiden Betriebe. An den Niedergang der deutschen Gewerkschaften und die damit einhergehenden Lohnsenkungen. An den Abbau des deutschen Sozialstaats ab 2003. An das massive Artensterben in der deutschen Agrarlandschaft ab 2007, ausgelöst durch die sinnlose Förderung des Bioenergieanbaus und des deutschen Fleisch- und Milchexports. An die Suv-Flut in den deutschen Städten und die ihr folgenden Flutkatastrophen von 1993, 1995, 2002, 2013 und 2021.
„Egal, ob Energiewende oder ungeregelte Migration: Deutschland träumt.“ Aust will damit sagen, dass ich träume, wenn ich von Flutkatastrophen in Deutschland spreche und diese mit dem Verbrennen fossiler Brennstoffe in Deutschland in Verbindung bringe. Aust will damit sagen, dass sich die Klimakatastrophe selber reguliert, wenn wir einfach nur genügend afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer und anderswo ertrinken lassen und so die Weltbevölkerung auf ein Maß reduzieren, dass es Aust erlaubt, weiterhin alle fünf Jahre ein noch dickeres und noch schwereres Auto zu kaufen. Aust will damit sagen, dass brutaler, blindwütiger Egoismus etwas mit Wachsein und militantem Konkurrenzkampf zu tun hat, während Empathie für Menschen, die uns nichts angeblich nichts angehen, etwas mit Schlafen und Träumen zu tun hat. Austs faschistische Vorläufer nannten das „Humanitätsduselei“.
Aust besitzt die Verlogenheit, die idiotische Fehlprognose des usamischen Politologen Fukuyama von 1992 (“Das Ende der Geschichte”) in den gleichen Topf zu werfen mit dem von ihm gehassten Atomausstieg, der von ihm gehassten Energiewende und der von ihm gehassten Hilfe für Flüchtlinge. Er will vergessen machen, dass Fukuyamas Prognose damals eine Erwartung usamischer Konzerne ausdrückte und null komma nichts mit den damaligen Erwartungen deutscher Umweltschützer zu tun hatte. Es war der Solipsismus usamischer Manager und Börsenspekulanten, der sich damals für Fukuyamas „Ende der Geschichte“ begeisterte. Blamiert hat sich damals die börsenkapitalistische Ideologie, an der der Konservative Aust aber unverdrossen festhält.
Austs historischer Vergleich der Annexion der Krim 2014 mit dem Versailler Vertrag von 1919 führt völlig in die Irre. Der Annexion der Krim ging keinerlei Krieg voraus, und sie beruhte nicht auf einem internationalen Vertrag. Ihr folgte auch nicht die Demütigung der Ukraine. Dem Versailler Vertrag ging der furchtbarste Krieg der bis dahin bekannten Geschichte voraus, ein Krieg, der vor allem von deutschen und österreichischen Militaristen und Großmachtspekulanten angezettelt worden war. Wie alle Deutschnationalen spricht Aust gerne vom Versailler Vertrag und sehr ungerne von dem Krieg, der diesem Vertrag unmittelbar vorausging und dessen Folgen 1919 geregelt werden mussten; denn den Versailler Vertrag mit seinen Folgen kann man so elegant britischen und französischen Diplomaten in die Schuhe schieben. Diese deutschnationale Standardnummer ist so unredlich und verlogen wie eh und je. Sie erlaubt es ihnen, darüber hinwegzusehen, dass die deutschnationalen Idole Hindenburg und Ludendorff Deutschland 1916–18 in die nationale Katastrophe gesteuert hatten, die im Versailler Vertrag lediglich quittiert wurde. Und darüber, dass Hitlers Rachegeschrei vor 1933 völlig identisch war mit Hindenburgs, Hugenbergs, Papens, Schleichers, Claß‘, Seldtes und Duesterbergs Rachegeschrei. Dass es Hindenburg, Hugenberg und Papen waren, die den Wahlverlierer Hitler 1933 als Kanzler installierten.
Tja, Stefan Aust. Der Mann hat ein Gewaltkultproblem. Das wurde schon in seinem Buch „der Baader-Meinhof-Komplex“ deutlich. Bei der Verherrlichung von Waffengewalt kann immer nur stinkende Scheiße herauskommen.