Was Elon Musk gegen die Künstliche Intelligenz hat

Ende März 2023 veröf­fent­lichte das Future of Life Insti­tute in Narberth, Pennsyl­vania (USA), einen offenen Brief, der die KI-Labore wegen drohender Gefahren zu einem sechs­mo­na­tigen Entwicklungs­moratorium und die Gesetz­geber zu regulie­renden Gesetzen aufrief. Zu den Erstun­ter­zeich­nern gehörten Tesla- und Twitter-Chef Elon Musk, der Apple-Mitbe­gründer Steven Wozniak und der Skype-Gründer Jaan Tallinn. Der Aufruf brachte einmal mehr ohne Indizien oder Begrün­dung die KI in Zusam­men­hang mit Propa­ganda und Lügen („Should we let machines flood our infor­ma­tion channels with propa­ganda and untruth?“) und stellte weitere steile Thesen auf wie die, dass KI uns Menschen überall ersetzen und die Zivili­sa­tion wegen KI außer Kontrolle geraten könne. Alles rheto­risch so gesetzt, als seien die KI-Entwickler, also Leute von OpenAI, Micro­soft und Google, Menschen, die das alles wollen oder billi­gend oder fahrlässig in Kauf nehmen, und als seien die Unter­zeichner die Leute, die das nicht wollen.

Musk gehörte 2015 zu den Inves­toren von OpenAI, war aller­dings 2019 dort wieder ausge­stiegen, als OpenAI mit Micro­soft zu koope­rieren begann. Was haben nun ausge­rechnet die Inter­net­ba­rone Musk, Wozniak und Tallinn gegen die neue Form von KI? Es liegt zunächst nahe zu vermuten, dass das etwas mit den Konkur­renzen zwischen den Inter­net­kon­zernen zu tun hat. Musk steht mit Twitter in Konkur­renz zu Micro­soft und Google und mit Tesla in Konkur­renz zu Google. Die Konkur­renz zwischen Apple (Wozniak) und Micro­soft ist längst legendär. Tallinn steht mit Skype in Konkur­renz zu den Video­platt­formen von Micro­soft und Google. Alle drei haben also gute Gründe, die beiden Konkur­renten, die bei der KI gerade ihre Nasen vorn haben, auszu­bremsen, notfalls mit staat­li­cher Hilfe. Barbara Wimmer wies am 30.3.2023 in future​zone​.at darauf hin, dass Musk offenbar zusammen mit dem KI-Experten Igor Babuschkin ein eigenes KI-Labor gründen will.

“Existenzielle Risiken”

Aber es gibt wohl auch länger­fris­tige und strate­gi­sche Gründe für Musk und Tallinn, die KI-Entwick­lung zu bremsen. Es sieht so aus, dass die beiden wirklich befürchten, die KI könne unkon­trol­lier­bare gesell­schaft­liche Umbrüche auslösen bis hin zu einer Auslö­schung der Mensch­heit. Beide unter­stützen deshalb das 2014 gegrün­dete Future of Life Insti­tute, das sich zentral mit »existen­zi­ellen Risiken einer künst­li­chen allge­meinen Intel­li­genz« beschäf­tigt. Der engli­sche Wikipedia-Artikel darüber ist recht ausführ­lich und diffe­ren­ziert. Er zitiert u. a. eine Theorie des schwe­di­schen Philo­so­phen und Bioethi­kers Nick Bostrom. Bostrom geht von der Prämisse aus, die Menschen hätten wegen ihrer überra­genden Intel­li­genz die Hegemonie über alle Tierarten errungen. Würden sie von intel­li­gen­teren »Wesen« überrundet, würde das Staffel­holz der Herrschaft unwei­ger­lich an diese weiter­gehen. Auch geht er davon aus, dass KI-Systeme, die in der Lage sind, sich selbst zu optimieren, eine explo­si­ons­ar­tige Entwick­lung einschlagen könnten, die sich jeder mensch­li­chen Kontrolle entzieht. In den Vorstel­lungen der Risiko-Apostel taucht immer wieder das seit Jahrzehnten aus Science-fiction-Dysto­pien bekannte Bild einer denkenden Maschine auf, die den Willen zur Weltherr­schaft hat und es schafft, entge­gen­ste­hende Willen von Menschen zu brechen. Ein Phänomen, das ich den Charme der Apoka­lypse nenne, lässt ebenfalls grüßen.

Kritiker dieser Vorstel­lung wie der briti­sche Sozial­psy­cho­loge Steven Pinker haben darauf hinge­wiesen, dass dieses Horror­sze­nario von der patri­ar­chalen Weltsicht ihrer Akteure geprägt sein könnte, die der KI ihre eigene Herrsch­sucht als Motiv unter­stellen. Die Horror­vor­stel­lung ist wohl beson­ders bitter für Menschen, die sich selbst für überra­gend intel­li­gent und deshalb für berech­tigt halten, über andere Menschen zu herrschen. Sie fürchten offenbar um ihre persön­li­chen Herrscher­rollen, sobald es eine mögli­cher­weise überle­gene Intel­li­genz gibt, die sie nicht unter Kontrolle haben. Dass eine Form von Intel­li­genz eine dienende, auf Problem­lö­sungen orien­tierte Rolle einnehmen kann, scheint diesen Akteuren unvor­stellbar zu sein. Kreative und hoch quali­fi­zierte Dienst­leister wie ich, meine Berufs­kol­le­ginnen und ‑legen, Koope­ra­ti­ons­part­ne­rinnen und ‑partner sind die leben­digen Beweise dafür, dass Intel­li­genz ohne Herrsch­sucht existiert.

Longtermismus und effektiver Altruismus

Der Wissen­schafts­jour­na­list Chris­tian Stöcker analy­sierte 2021 zwei philo­so­phi­sche Richtungen, die von Musk, Tallinn und dem Future of Life Insti­tute geför­dert werden: den sog. Longter­mismus (longter­mism) und den sog. effek­tiven Altru­ismus.[1] Die Longter­misten setzen sich selbst als Interessen­vertreter von Genera­tionen der Mensch­heit ein, die in ferner Zukunft aufwachsen könnten. In dieser Denkweise steckt die Logik, dass die Inter­essen der gegen­wär­tigen Mensch­heit weniger zählen als die Inter­essen zukünf­tiger Genera­tionen, weil das poten­ziell viel mehr Menschen sind. Deshalb spielte z. B. die Klima­ka­ta­strophe im Weltbild der Longter­misten nach Stöcker zunächst nur eine geringe Rolle, denn sie schien nur wenige Genera­tionen der Mensch­heit zu betreffen und war nach Über­zeugung vieler Longter­misten in Zukunft mit techni­schen Mitteln in den Griff zu bekommen. Das hat sich seit 2021 aller­dings geändert; das Future of Life Insti­tute ging mit Stand April 2023 auf die Gefahren des Klima­wan­dels ein.[2]

Das Spiel mit Genera­tionen, die nicht anwesend sind und sich nicht selber äußern können, wider­spricht einem wesent­li­chen Prinzip der Demokratie. Für Macht­haber wie Musk ist es ein schwer erträg­li­cher Skandal, dass in der Demokratie zwei Putzfrauen genügen, um einen mit allen Wassern des innova­tiven Geistes und Unter­neh­mer­tums gewaschenen Wirtschafts­lenker zu überstimmen. Die demokra­ti­sche Gleich­heit der Bürge­rinnen und Bürger vor dem Gesetz ist ein Skandal seit 1789. Auch die Vertreter der sog. »Genera­tio­nen­ge­rech­tig­keit« griffen um 2013–16 das Prinzip des gleichen Wahlrechts an und forderten zusätz­liche Wähler­stimmen für die Eltern von Kindern; als ob Menschen, die aus den unter­schied­lichsten Gründen kinderlos geblieben sind, nichts für die Zukunft der Kinder tun würden.

Ich deute es so: Die Longter­misten wollen ihren Einfluss vergrö­ßern, indem sie sich anmaßen, Menschen zu vertreten, die sie nicht gefragt haben, weil sie noch gar nicht geboren sind. Diese Arroganz erinnert mich, den Histo­riker, an eine ganz ähnliche Arroganz, die im frühen 19. Jahrhun­dert in Deutsch­land aufkam: Damals vertraten Anhänger der alten Adels­fa­mi­lien die Ansicht, Adlige hätten ein Recht auf Herrschaft und Privi­le­gien, weil ihre oft seit Jahrhun­derten reichen, mächtigen und gut dokumen­tierten Familien in früheren Zeiten verwur­zelt seien und die bleibenden Inter­essen der Vorfahren verträten. Longter­misten proji­zieren diesen uralten Hut in die Zukunft hinein mit dem gleichen Effekt: eine kleine Elite recht­fer­tigt ihre Herrschafts­po­si­tionen und ihren unver­schämten Reichtum im angeb­li­chen Inter­esse Abwesender.

Hinter dem beson­ders von Jaan Tallinn propa­gierten »effek­tiven Altru­ismus« steckt ein ganz ähnli­cher Herrschafts­an­spruch: Die Anhänger dieser Lehre glauben zu wissen, welche Inves­ti­tionen in gemein­nüt­zige Ziele und Projekte beson­ders effektiv sind. Sie recht­fer­tigen ihren Reichtum mit dem Gedanken, dass ein Reicher beson­ders effektiv helfen könne, wenn er sein Geld für bestimmte Projekte spende. Den gleichen Grund führen sie auch gegen Steuern an, die ihr Einkommen oder ihr Vermögen schmä­lern könnten. Denn der Staat, so glauben sie, geht mit dem so einkas­sierten Geld viel ineffek­tiver um als sie selbst. Dass sie damit vor allem ihre persön­liche Macht­po­si­tion recht­fer­tigen und ihren persön­li­chen Ruhm pflegen, verschweigen sie lieber.

Beide Denkschulen können ins Wanken geraten, wenn eine demokra­tisch kontrol­lierte künst­liche Intel­li­genz womög­lich besser als jene selbst erklärten Erleuch­teten einschätzen kann, was wir tun müssen, um die Lebens­chancen zukünf­tiger Genera­tionen zu wahren, und wo wir zuerst helfen müssen, um die Lebens­be­din­gungen auf dem Planeten entschei­dend zu verbes­sern. Micro­soft und Google, gegen die sich Musks Vorstoß richtet, sind zwar Privat­kon­zerne wie Twitter/​Tesla oder Apple auch und nicht frei von Größen­wahn und Herrsch­sucht; aber ich sehe den kultu­rellen Unter­schied, dass ihre Produkte von Anfang an den Nutzen möglichst breiter Anwen­der­schichten adres­sierten, während die Produkte von Twitter, Tesla oder Apple einen elitären Kult pflegen. Warum ausge­rechnet Bill Gates‘ philan­thro­pi­sches Engage­ment so viel Wut auf sich zieht, habe ich 2020 analy­siert.

  • Daniel Leise­gang analy­sierte den offenen Brief am 31.3.2023 kritisch auf netzpo​litik​.org.
  • Thomas Laschyk witzelte am 13.12.2023 auf Volks­ver­petzer über Musks “anti-woke” KI Grok, die dann aber auch zu dem Ergebnis kam, dass es keine jüdische Weltver­schwö­rung gibt.


[1]     Chris­tian Stöcker: Ist »Longter­mism« die Rettung – oder eine Gefahr? Spiegel Wissen­schaft 7.11.2021

[2]     futureo​f​life​.org, abgerufen April 2023

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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