Das Ende ist nah. Und wehe, wenn nicht!

Im August 2017 veröf­fent­lichte die Bertels­mann-Stiftung ihre Religi­ons­mo­nitor-Studie. Dort kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass sich die meisten Muslime in Deutsch­land nach einigen Jahren, oder wenn sie hier geboren wurden, ziemlich gut ins deutsche Bildungs­system und ins deutsche Berufs­leben integrieren. Die Meldungen darüber lösten, wie Said Rezek in der taz am 30.1.2018 rekapi­tu­lierte, keine Erleich­te­rung, sondern eine Empörungs- und Hasswelle aus. „Lügen­wissenschaft!“ schrien die Deutsch­nationalen allent­halben und griffen auf Goebbels‘ alte Geheim­waffe zurück, das gefälschte Churchill-Zitat: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!“ Das christ­liche Abend­land geht unter, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche! Was ist da los?

Said Rezek sieht darin eine zeitty­pi­sche Attacke auf die wissen­schaft­liche Forschung und vermutet als Motiv den antiken Reflex, den Überbringer schlechter Nachrichten zu köpfen. Dabei ist ihm die Pointe entgangen, dass die Wissen­schaftler in diesem Fall keine schlechten, sondern gute Nachrichten überbracht haben: Deutsch­land schafft sich nicht ab. Das christ­liche Abend­land lebt munter weiter. Doch die Optimisten hatten nicht damit gerechnet, dass kein Glaube so felsen­fest ist wie der Glaube der Pessi­misten an den Unter­gang. Wenn der Unter­gang unter­geht, ist das zehnmal so schlimm, wie wenn Deutsch­land unter­geht.

Warum ist der Unter­gang seinen Jüngern so wichtig? Worin liegt der Charme der Apoka­lypse? Wenn ich mich, nur als Arbeits­hy­po­these, an den Versuch einer sozial­psy­cho­lo­gi­schen Erklä­rung dieser Religion machen darf, fällt mir ein, dass ich eben sagte, die National­konservativen sinngemäß zitie­rend: „Der Unter­gang ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Da könnte ein Schlüssel stecken: Der Glaube an den Unter­gang verspricht eine Art Sicher­heit. Auf nichts, so glauben die apoka­lyp­ti­schen Reiter, kann man sich in dieser Welt (mehr) verlassen – aber auf das eine doch: dass sie alsbald unter­gehen wird. Schließ­lich hat sie das verdient, so gemein, wie sie gegen uns war; so verkommen, verlot­tert, dekadent und pervers, wie sie jetzt ist.

Nichts scheint den Unter­gangs­pro­pheten unerträg­li­cher zu sein als der Gedanke an eine Welt der barbu­sigen Altar­tän­ze­rinnen, Gangsta-Rapper und WhatsApp-Zombies, die munter weiter­lebt und die Altvor­deren, die doch alles im Schweiße ihres Angesichts mit schwie­ligen Händen aufge­baut haben, sorglos vergisst. Eine Welt, in der unsere Erfin­dungen veralten, unsere Häuser abgerissen, unsere Theorien falsi­fi­ziert werden, unsere Lieder, Filme und Romane aus der Mode kommen, unsere Gräber vom Efeu überrankt werden.

Hmmm – an dieser Stelle mag sich auch die eine oder andere Leserin strich­weise wieder­erkannt haben. In der Tat: Der Glaube, den ich hier beschreibe, ist nicht auf konser­va­tive Kreise beschränkt. Der Weltun­ter­gang ist auch vielen grünen und links­de­mo­kra­ti­schen Schlacht­rös­sern heilig. Natür­lich geht Tuvalu unter, und Holland gleich hinterher! Natür­lich stirbt der Wald! Natür­lich verblei­chen die Koral­len­riffe! Natür­lich sterben Tiger, Wale und Elefanten aus! Natür­lich werden wir alle von Glyphosat und Mikro­plastik vergiftet! Natür­lich wird der Casino-Kapita­lismus bald in Flammen aufgehen! Da wird doch nicht jemand dran zweifeln? Manche dieser Prognosen halte ich selbst für wahrschein­lich, doch zuweilen scheint mir, dass ähnlich egozen­tri­sche Motive hinter diesen Annahmen stecken wie bei den Konser­va­tiven. Es ist (so meine Arbeits­hy­po­these) der Wunsch, dass wir Zeitge­nossen die letzten echten Deutschen bzw. Menschen sein mögen. Nach uns muss Schluss sein, nach uns sei die Sintflut! Denn das würde uns, die Genera­tion der Zeitge­nossen, auf tragi­sche Weise unsterb­lich machen, was offenbar besser ist, als auf heitere Weise vergessen zu werden.

Das alles ist, wie gesagt, kein Forschungs­er­gebnis, keine Wissen­schaft, sondern nur eine vorläu­fige Arbeits­hypothese. Es sei die Sache junger Wissen­schaft­le­rinnen, sie zu belegen oder zu falsi­fi­zieren. Ich freue mich darauf, mitsamt meiner verschro­benen Zeilen dann ad acta gelegt zu werden. Denn darin liegt ein Trost: Meine Irrtümer sind ephemer, meine Verblen­dung wird eines Tages vom Winde verweht sein.


Diese Betrach­tung schrieb ich im Februar 2018. Später wurde das Phänomen auch beim “Spiegel” großes Thema, mit inter­es­santen Daten und Hinter­gründen:

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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