Batman und die rotgrüne Flut

Konser­va­tive deutsche Intel­lek­tu­elle lassen sich mit Vorliebe als mutige und wider­stän­dige Helden abfeiern. »Den Rechten ein Ärgernis, den Linken ein Juckpulver«, so hieß es in mehreren Nachrufen auf den Publi­zisten Karl Heinz Bohrer, obwohl keiner davon eine Episode zu nennen weiß, in denen Bohrers Positionen irgend­wel­chen Rechten ein Ärgernis gewesen wären. Statt­dessen bekam er von FAZ-Heraus­geber Jürgen Kaube den Orden »Einer der frühen Kämpfer gegen die Anpas­sung des Denkens an morali­sche Gesichts­punkte« angehängt. »Er ist ein Kurt Tucholsky unserer Zeit, mit der Seele eines Clowns.« Springer-Chef Matthias Döpfner gratu­lierte dem Publi­zisten Henryk Broder zum 75. Geburtstag, in der »Welt« und ausführ­lich zitiert vom WDR 20.8.2021.

Holger Noltze pries Bohrer im Musik­kanal takt1 »diesen eminenten Vertei­diger einer ästhe­ti­schen Erfah­rung von Kunst, die sich der Indienst­nahme durch Politik oder Moral entzieht…« Und, klar doch: »Er war ein unerschro­ckener Denker…« Gregor Dotzauer feierte im »Tages­spiegel«, dass Bohrer, seiner­zeit Korre­spon­dent in London, »Margaret Thatchers Falkland-Krieg 1982 … nicht aus übertrie­bener Identi­fi­ka­tion mit seiner neuen Heimat pries, sondern weil er den Garten­zwerg-Pazifismus der Deutschen verach­tete – unter Linken wie Spieß­bür­gern«.  Tom Mustroph lobte Bohrer in der taz als »streit­baren Intel­lek­tu­ellen«, er sei »so etwas Seltsames wie ein Gentleman-Anarchist« gewesen.

Und Broder? Klar, er ist ein Freigeist, klar, er schwamm immer gegen den Mainstream. Sandro Serafin vom Israel­netz hat den üblichen Denkmals­spruch im Meißel: »dem Freigeist, dem Streit­lus­tigen, dem Antiau­to­ri­tären«. Ulf Posch­ardt von der »Welt« erklärte Broder gleich zum Erfinder der Renitenz: »Broders Renitenz wirkt in Deutsch­land beson­ders wild, weil die Braven und Pseudo­fre­chen die Kultur prägen… In der Heerschar der Gleich­ge­strei­chelten ist Broder der radikale Gegen­ent­wurf.«

Wenn ich dann google »Broder Kriegs­treiber«, dann bekomme ich auf Platz 5 genau einen Treffer in einem kaum bekannten Weblog, in dem jemand Broder als Kriegs­treiber bezeichnet, inmitten etlicher Treffer, auf denen er selbst zu Wort kommt (u. a. im »Spiegel«) oder positiv rezen­siert oder auf andere Weise gelobt wird. In jenem links­grün­to­ta­li­tär­pa­zi­fis­ti­schen Mainstream, gegen den sich der konser­va­tive Held Broder wie ein einsamer Fels in der Brandung stemmt, ist Broder selbst die Brandung.

Posch­ardt behauptet über seinen Freund und Kollegen: »Während die anderen … Mut bluffen und stets das Erwart­bare und Gewünschte rauslärmen, geht Broder bis an das Maximum des Zumut­baren.« Auf Spiel­mann Bohrer und Spiel­mann Broder war und ist aller­dings in einem Punkt Verlass: Wenn irgendwo ein klassisch-imperia­lis­ti­scher Krieg zu führen war, wenn es irgendwo galt, junge Männer in Mord und Tod zu schicken, dann wirbelte die Bohrer- und Broder­trommel erwartbar-aufge­regt mit: Bohrer beglei­tete 1982 Thatchers dummdreiste, blutige Kanonen­boot­po­litik mit klingendem belli­zis­ti­schen Spiel. Broder meldete sich seit 1990 zu jedem Krieg im Nahen Osten sporen­k­lin­gelnd zu Wort. Die jewei­ligen  Kriegs­treiber in Usa und Israel konnten sich darauf verlassen, dass ihr publi­zis­ti­scher Feldjäger seine Mission an der deutschen inneren Front übernahm und das dortige Pazifis­ten­pack mit Verleum­dungen aller Art traktierte. Eines der wichtigsten Werkzeuge des Friedens, die Toleranz, verleum­dete er 2009 als Akt der Kapitu­la­tion.

Wenn nun wer denken mag, Bohrers Schwär­merei für mörde­ri­sche Machos wie Ernst Jünger und Andreas Baader sei in ihrer Kombi­na­tion origi­nell gewesen – ach was! Jünger selbst schaffte bereits den Absprung von Luden­dorff („Jeder Schuss ein Russ“) zu Baader und Meinhof („Bullen sind Schweine, keine Menschen“): 1951 zeich­nete der Elite­bal­ler­mann die Helden­figur des »Waldgän­gers«, der bewaffnet Wider­stand leistet gegen einen parla­men­ta­risch-dikta­to­ri­schen Verwaltungs­staat. Jüngers faschis­ti­scher Freund und Rechts­berater Carl Schmitt hatte 1963 eine ganz ähnliche Idee und Vorliebe, als er in seiner »Theorie des Parti­sanen« eine Figur konstru­ierte, die das, was Schmitt für Politik hielt, die Unter­schei­dung von Freund und Feind (und die Entschei­dung über Leben und Tod des Feindes) auf archai­sche Weise in die eigenen Hände nahm. Alles war gut bei Jünger, Schmitt, Baader und Bohrer, wenn nur genügend viel Blut demokra­tisch gesinnter Feinde über die Straße floss. Und zu der wider­li­chen Hetzpa­role, die Broder gegen seine Intim­feindin Claudia Roth ausge­stoßen hat, kann ich mir seine solda­ten­deut­sche Mord­phantasie farbig vorstellen. Höchste Zeit, dass wir jenen Menschen Mut- und Widerstands­denkmäler errichten, die sich wie Claudia Roth einer vollau­to­ma­tisch bewaff­neten Lobby­truppe klug und beherzt entgegen­stellen.


Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.