Jäger träumt vom Hirschen Karikatur

Die Wildnis und das Konservative

In der Kontro­verse um einen Natio­nal­park Eggege­birge äußerten ostwest­fä­li­sche Natur­schüt­ze­rinnen und ‑schützer im Mai 2024 die Hoffnung, konser­va­tive Wähle­rinnen und Wähler von ihrer Gegner­schaft zum Natio­nal­park abbringen zu können. Warum diese Hoffnung wahrschein­lich verschwendet ist und die Anhänger der Wildnis in die Irre führt, will ich hier ausführen.

Das ist eigent­lich ganz einfach: Jeder von uns weiß, dass fast alle CDU- und FDP-Politiker der Region und des Landes NRW notorisch und routi­ne­mäßig Natio­nal­parke ablehnen. Immer schon abgelehnt haben und weiterhin zuver­lässig ablehnen. Es gab nur wenige Ausnahmen in der deutschen Geschichte: etwa der bayeri­sche Landwirt­schafts­mi­nister Hans Eisen­mann (1923–1987) (Wik.), der sich für den Natio­nal­park Bayeri­scher Wald einsetzte; der CDU-Bundes­tags­ab­ge­ord­nete Herbert Gruhl (1921–1993) (Wik.), der 1975 das Buch »Ein Planet wird geplün­dert« veröf­fent­lichte; oder der lippi­sche Landwirt und Landrat Friedel Heuwinkel (*1950) (Wik.), der sich für einen Natio­nal­park Teuto­burger Wald aussprach. Diese Fälle waren so selten, dass sie jeweils einiges Aufsehen erregt haben.

Warum ist das so? Könnte man nicht meinen, Natur­schutz, also der Erhalt von Lebens­räumen und Landschaften, hat etwas Konser­va­tives an sich, das Konser­va­tive anspre­chen müsste? Doch dem ist offen­sicht­lich nicht so, aus mutmaß­lich zwei Gründen: weil ein Natio­nal­park (die höchste Natur­schutz­ka­te­gorie) die Macht­ver­hält­nisse in der Region ändert, und weil ein Natio­nal­park der Wildnis freie Bahn macht.

Seit es eine konser­va­tive politi­sche Bewegung gibt – das ist etwa seit 1800 der Fall – richtet sie sich gegen den Umsturz tradi­tio­neller Macht­hier­ar­chien und dient der Vertei­di­gung tradio­neller Vorrechte und Privi­le­gien bestimmter Minder­heiten. Das war zunächst vor allem der Adel, dessen Herrschaft und Vorrechte durch das damals oft revolu­tio­näre Bürgertum bedroht wurden. Heute finden wir an der Spitze der gut organi­sierten und finanz­starken Natio­nal­park­gegner oft Landwirte und Jäger. Die Adligen waren fast alle ebenfalls leiden­schaft­liche Jäger. Kein Wunder also, dass viele Jäger sich dem Habitus und Gedan­kengut des Adels nach wie vor verpflichtet fühlen. Auch viele Landwirte eifern auf ihren zuweilen weitläu­figen Gütern ganz gerne dem Adel nach.

Stephans Prinzengarde

Im Kreis Lippe stellte sich 2011 der ranghöchste Adlige der Gegend, Stephan Prinz zur Lippe, an die Spitze der Bewegung gegen einen Natio­nal­park Teuto­burger Wald. Das ist vermut­lich kein Zufall. Es hat damit zu tun, dass ein Natio­nal­park in die angestammte Macht­ord­nung der betrof­fenen ländli­chen Region eingreift. In dieser Ordnung stehen nach wie vor oft Adlige und andere Großgrund­be­sitzer an der Spitze, also Großbauern, andere Land- und Waldbe­sitzer, Jäger, Sägewerks­be­sitzer usw. Ein Natio­nal­park in der Nachbar­schaft ändert zwar an den Eigen­tums­ver­hält­nissen nichts, da er ausschließ­lich auf Flächen des Staats­forstes errichtet wird, aber er führt neue Figuren, neue Gremien und neue Regeln ins Spiel ein. Das wollen Konser­va­tive nicht; sie wollen unter sich bleiben, wenn ihre terri­to­rialen Angele­gen­heiten bespro­chen werden. Deshalb stellten die Gegner ihre Kampagne 2011 unter das Motto “Unser Teuto­burger Wald”.

Inhalt­lich geht es bei einem Natio­nal­park um eine Fläche, auf der sich Wildnis entwi­ckeln soll, ein Urwald. Konser­va­tive und Wildnis? Das verträgt sich nicht. Konser­va­tive halten an herkömm­li­chen Wirtschafts­formen fest. Konser­va­tive wollen alles unter Kontrolle behalten. Konser­va­tive Landwirte sind davon überzeugt, dass jeder Quadrat­meter Land von einem mensch­li­chen Besitzer gestaltet und bewirt­schaftet werden müsse. In einem solchen Weltbild ist kein Platz für Wildnis­flä­chen. Wildnis ist in diesem Denken böse, etwas, das schleu­nigst urbar gemacht werden muss, damit es unter Kontrolle bleibt. “Unser Wald” heißt im konser­va­tiven Sinne, dass er nicht den Wölfen, Wildkatzen oder Schwarz­spechten gehört und schon gar nicht irgend­wel­chen Natur­schüt­zern städti­scher Herkunft, sondern eben “uns”, den dort ansäs­sigen Grund­be­sit­zern und Forst­wirten.

Konser­va­tive haben ihren Carl Schmitt gelesen: Sie wissen genau, wer ihre Feinde sind und was ihr rotes bzw. grünes Tuch ist. Der Versuch, Konser­va­tive vom Wert der Wildnis zu überzeugen, kann wahrschein­lich nur schei­tern. Durch­setzen können wir die Wildnis nur, indem wir die progres­siven Teile der Bevöl­ke­rung, vor allem die Stadt­be­völ­ke­rung von Pader­born und Höxter, so stark motivieren, dass sie sich stark an der Abstim­mung betei­ligen (und mit Ja stimmen). Dabei stoßen wir auf das Problem, dass die Konser­va­tiven in den Umland­ge­meinden den Natio­nal­park als persön­liche Bedro­hung auffassen. Das mobili­siert sie zum sicht­baren Wider­stand und wahrschein­lich zu einer hohen Abstim­mungs­be­tei­li­gung. Die eher progres­siven Wildnis­be­für­worter in den Städten laufen dagegen Gefahr, dass ihnen das Thema nicht wichtig genug ist und sie deshalb die Abstim­mung verpassen. Um diesen Leuten das Thema näher zu bringen, kann es hilfreich sein, es auf ähnliche Weise zu perso­ni­fi­zieren, wie die Gegner das tun. Die identi­fi­zieren den Natio­nal­park mit grünen Moral­apos­te­l­innen, verschro­benen Käfer­zäh­lern, radikalen Tierschüt­ze­rinnen und anarchi­stischen Deindus­tria­li­sieren, die sie ohnehin hassen wie die Pest, und stimmen schon deshalb mit Nein, um die Leute zu ärgern, die sie ärgern. Doch diesen Spieß können wir herum­drehen: Jäger zum Beispiel sind in der Stadt­be­völ­ke­rung überwie­gend unbeliebt. Also können wir das Motiv anbieten: Stimme für den Natio­nal­park, um die Jäger zu ärgern.

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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