Insgesamt ist das Ergebnis der Europawahl am 9. Juni 2024 schlimm, der befürchtete Rechtsruck ist tatsächlich eingetreten, am schlimmsten in Frankreich. In Deutschland erzielte die AfD knapp 16 % der Stimmen. Das ist meines Erachtens allerdings keine Katastrophe für die deutsche Demokratie, sondern ein eher schwaches Ergebnis.
Ende 2023 lag die AfD bei bundesweiten Umfragen noch über 20 %, und kurz vor der Wahl laut Forsa bei 17 %. Der Katastrophengeruch kommt dadurch zustande, dass die AfD mit diesem Ergebnis zur zweitstärksten Partei wurde. Das liegt jedoch vor allem an der Schwäche der SPD und der Grünen, die bislang stets oder meist über der AfD lagen. Ich sehe darin keinen Wahlsieg der AfD; solche Interpretationen nützen der AfD vermutlich mehr, als sie schaden, weil sie die AfD ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken und AfD-Wählys suggerieren, dass sie aufs richtige Pferd gesetzt haben.
In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten ein recht stabiles Wählerpotenzial von 20 % für nationalistisch-autoritäre bis faschistische Positionen, vor allem im Zusammenhang mit Migration. Das war schon in den 1980er-Jahren in Westdeutschland (!) der Fall. Rechtsparteien wie die AfD (und bis 1990 die »Republikaner«) greifen dieses Potenzial je nach politischer Lage mehr oder weniger gut ab. Die Leute, die so denken, wählen je nach Region und sozialer Herkunft mal CDU/CSU, SPD oder FDP, mal gar nicht, mal AfD (oder früher die »Republikaner«). Das traditionelle westdeutsche Potenzial ist im Laufe der Jahrzehnte etwas kleiner geworden. In Ostdeutschland sind, bedingt durch die speziellen Erfahrungen der Menschen dort mit dem Zusammenbruch der DDR und der anschließenden Massenarbeitslosigkeit in den 1990er-Jahren, Potenziale hinzugekommen, so dass gesamtdeutsch gesehen die 20 % wieder da sind. Eine ähnliche Größenordnung finden wir in europäischen Nachbarländern wie Frankreich, Italien, Polen, Belgien oder den Niederlanden.
Macrons Kurzschlusshandlung
Katastrophenalarm ist angebracht, wenn die 20-%-Marke bei Wahlen deutlich überschritten wird, wie das zurzeit in Frankreich, Italien und Polen der Fall ist. Macrons Entscheidung, das Parlament aufzulösen, ist eine gefährliche Kurzschlusshandlung und verschlimmert wahrscheinlich die Katastrophe dort. Macron zeigt damit, wie wenig Respekt er vor den Regeln der parlamentarischen Demokratie hat. Diese sehen ganz bewusst Legislaturperioden vor, die lang genug sind, dass ein gewähltes Parlament auch arbeiten kann. Zu häufige Neuwahlen untergraben die Arbeitsfähigkeit der Parlamente und Regierungen und die Gültigkeit von Wahlergebnissen.