Einigkeit macht stark? Eher nicht.

Erdmänn­chen sind der Beweis: Wer sich streitet, findet schneller was zu Fressen. Wenn bei der Futter­suche keiner dem Anführer wider­spricht, geht die Gruppe öfter mal leer aus. Ein Forschungs­be­richt in der Braun­schweiger Zeitung. Bei den Menschen ist es nicht anders, das zeigt ein Blick in die Geschichte.

In Deutsch­land predigten Konser­va­tive und Nazis seit Bismarcks Zeiten: Wenn das Vater­land einig zusam­men­steht, ist es unschlagbar. Nun, es stand einig zusammen, 1914–1918 im I. Weltkrieg, 1939–1945 im II. Weltkrieg. Es verlor 1918 den I. und 1945 den II. Weltkrieg. Die Sieger waren Frank­reich (1918), Großbri­tan­nien (1918, 1945), die USA (1918, 1945) und die Sowjet­union (1945). Vier Länder, deren Natio­nal­ge­schichten von insge­samt acht erfolg­rei­chen Revolu­tionen erschüt­tert wurden, und die sich lange Tradi­tionen erbit­terter Partei­en­kämpfe, Bürger­kriege und insti­tu­tio­neller Rivali­täten geleistet hatten. Die deutsche Einig­keit während der Weltkriege und in den Jahren davor war geprägt von strengen Hierar­chien, gewalt­samer Unter­drü­ckung und starren Haltungen der dominie­renden Kreise. Für die Zeit vor 1914 stellte Heinrich Mann das anschau­lich dar in seinem Roman Der Untertan.

Das Dogma von der heiligen Einig­keit gibt es auch auf links: El pueblo unido jamas sera vencido! Ein geeintes Volk wird niemals besiegt! Das sangen die chile­ni­schen Sozia­listen und ihre weltweit verbrei­teten Anhän­ge­rinnen nach dem Militär­putsch 1973, in der Hoffnung auf einen schnellen Zusam­men­bruch der Pinochet-Diktatur. Die Hoffnung trog. Es erwies sich, dass das chile­ni­sche Volk alles andere als einig war; dass ein recht großer Teil dieses Volkes der sozia­lis­ti­schen Politik Salvador Allendes feind­lich gegen­über­stand und deshalb den Diktator unter­stützte. Das geeinte Volk ist eine Fiktion. Ein Volk ist stes vielfältig, wider­sprüch­lich, dynamisch.

Didi Distel

Didi Distel empfiehlt deshalb das Antidogma:

Einig­keit macht starr.

 

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.