Flughäfen sind Jobmaschinen? Von wegen!

Flughäfen – oder vielmehr Airports – sind die Marsfelder und Circi Maximi der Beton­zeit; die kriti­sche Leserin verzeihe mir den affek­tierten, aber korrekten latei­ni­schen Plural von Circus Maximus. Während Wichtig­tuer und Touristen auf dem Corso des Termi­nals Schau laufen, treten glitzernde Flugdra­chen auf der endlos weiten Ebene der Start- und Lande­bahnen zu rituellen Turnieren an. Die Desti­na­tionen auf der großen Tafel beschwören, wie einst die Chöre altgrie­chi­scher Theater, die Vision herauf, als sei die gesamte bekannte und unbekannte Welt an diesem heiligen Ort gegen­wärtig.

Was rede ich da? Flughäfen sind natür­lich das Ergebnis der reinen ökono­mi­schen Vernunft. Das behauptet jeden­falls der Kölner Verkehrs­wis­sen­schaftler Herbert Baum in zahlrei­chen Gutachten, die immer wieder zitiert werden, um den weiteren Ausbau von Flughäfen zu recht­fer­tigen.

Die 100.000 Arbeits­plätze, die der Bau der Start­bahn Nord-West am Frank­furter Flughafen laut seiner Betrei­ber­firma Fraport zusätz­lich erzeugen wird, stammten aus Baums Taschen­rechner. Das Rheinisch-Westfä­li­schen Institut für Wirtschafts­for­schung kam dagegen 1998 zu dem Ergebnis, dass „ein Einfluss einer Flughafen-Infra­struktur auf den Arbeits­markt statis­tisch nicht nachweisbar“ sei – doch dieses Gutachten ließen Fraport und hessi­sche Landes­re­gie­rung schnell in der Versen­kung verschwinden. [taz​.de 18.9.2012]


In einem anderen Gutachten vertrat Baum 2005 die These, der „regio­nale Gesamt­beschäftigungseffekt“ der Berliner Flughäfen habe 2004 bei 33.600 Arbeits­plätzen gelegen. Ein Ausbau des Flugha­fens Schöne­feld (BBI, später BER genannt) werde die Haupt­stadt­re­gion als Wissenschafts‑, Kongress- und Messe­standort stärken. Die Erwei­te­rung von Absatz- und Beschaf­fungs­märkten würden bis 2012 „rund 39.400“ zusätz­liche Arbeits­plätze in der Region schaffen; zusammen also rund 73.000 Jobs im Jahr 2012. [berlin​-airport​.de] Richtig gelesen: Baums Blick in die ökono­mi­sche Zukunft der nächsten sieben Jahre war so scharf und seriös, dass er nicht von „rund 40.000“ zusätz­li­chen Arbeits­plätzen sprach, sondern von „rund 39.400“. Der gute Mann wollte ja nicht übertreiben, sondern als seriöser Wissen­schaftler auftreten, der zukünf­tige Tempe­ra­turen messen und zukünf­tige Arbeits­plätze zählen kann![3] Dass er den Zeitpunkt der Inbetrieb­nahme des Flugha­fens nicht so genau traf, lassen wir hier beiseite.

Ähnliche Thesen verbrei­tete jener Baum schon 1998 für den Kölner Flughafen.[4] Die Indus­trie- und Handels­kammer Köln behaup­tete im Anschluss, ein Nacht­flug­verbot für den Kölner Flughafen, wie es die Mehrheit des Stadt­rates gefor­dert hatte, werde zum Verlust von Tausenden von Arbeits­plätzen führen.

Baum und seine Nutznießer hüten sich, Fragen wie den folgenden nachzu­gehen:

  • Wie viele Arbeits­plätze werden durch Flughäfen nur verla­gert, fallen also anderso weg? 2012 ermit­telten der Chemnitzer Volks­wirt Fried­rich Thießen und das ARD-Magazin »Report«, dass die 6450 real am Flughafen neu angesie­delten Arbeits­plätze zu über 80 % bloß dorthin verla­gert, also keines­wegs neu geschaffen worden waren. [taz​.de 18.9.2012]
  • Wie viele Jobs würde die An- und Abreise der Besucher per Bahn bei der Bahn und im Umfeld der Bahnhöfe schaffen? Wie viele Jobs würden durch zusätz­liche Übernach­tungen entstehen, wenn Gäste über Nacht bleiben, statt schon am gleichen Tag wieder wegzu­fliegen?
  • Wie viele Jobs würden bei einem Wegfall des Fracht­flug­ver­kehrs entstehen, wenn die heute »just in time« per Luftfracht heran­ge­holten Waren wieder umwelt­freund­lich (und langsamer) per Bahn heran­ge­holt und wieder von den Anwen­dern auf Vorrat einge­la­gert würden? Oder umgekehrt und ganz real-histo­risch gefragt: Wie viele Jobs sind bei der Bahn, bei Spedi­tionen und in der früher bestehenden Lager­hal­tung durch die extrem umwelt­feind­liche »Just-in-time«-Luftfracht verloren gegangen?
  • Was ist mit den Schäden, die der vom Flugver­kehr verur­sachte Klima­wandel verur­sacht und verur­sa­chen wird? Wer muss dafür gerade stehen? Oder rechnet Baum die Arbeits­plätze, die beim Besei­tigen von Überschwem­mungs­schäden und beim Bau von Unter­künften für Klima­flücht­linge entstehen, dem Flughafen sogar positiv an?

Anschei­nend gibt es in Baums Rechnungen »gute« und »schlechte« Arbeits­plätze. Gut sind die, die im herrschenden Diskurs als »innovativ« gelten (und den momentan tonan­ge­benden Unter­neh­mern Profite einbringen); schlecht sind die, die eine vorherr­schende Ideologie als veraltet bezeichnet. Der Arbeits­platz als solcher wäre dann aber keines­wegs die nüchterne ökono­mische Währung, als die er sich in Baums Berech­nungen ausgibt.

Unter­dessen erwies sich 201213 der Berliner Flughafen dann doch als eine Art Jobma­schine wider Willen: Da er nicht fertig wurde und zur ewigen Baustelle mutierte, gab er munter vielen Handwer­kern, Bauar­bei­tern und Ingenieuren immer weiter Arbeit, ohne allzu große negative Wirkungen auf Wirtschaft und Klima entfalten zu können. Zur gleichen Zeit gab auch der Flughafen Kassel-Calden (KCA) eine neuar­tige Jobma­schine ab. Das Rezept lautet: Man baue einen Flughafen dort, wo ihn garan­tiert niemand braucht, lasse ihn zehn Jahre lang als flächen­de­ckenden Tempel der Globa­li­sie­rung in der schönen nordhes­si­schen Landschaft herum­liegen und baue ihn dann wieder ab. Die einzigen, die von solchen Projekten profi­tieren, sind die Beton­in­dus­trie sowie ein paar Rechts­an­wälte, Notare und Unter­neh­mens­be­rater.

Der Bund der Steuer­zahler hat sich übrigens bis heute nicht dazu geäußert – weder zu BER noch zu KCA. Klar – dieser Verein braucht alle seine Kraft, um zu ermit­teln, dass die Volks­hoch­schule Magde­burg 2012 einen überflüs­sigen Feng-shui-Kurs angeboten hat.

Diana Distel sagt lieber:

Jobma­schine Bahn

Und Didi Distel ergänzt:

Flughäfen sind Endlos­schleifen.

Origi­nal­bei­trag aus dem Buch


[3]        Zur Magie der genauen Zahl siehe W. Krämer: So lügt man mit Statistik (1998), S. 15. Viele Beispiele in G. Bosbach, J. Korff: Lügen mit Zahlen (2011); S. 11, 111f, 116f, 178f u.a.

[4]        Kölner Stadt-Anzeiger 23.10.1998

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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