Warum eine Versöhnung mit Trumpisten nicht möglich sein wird

Viele Beobachter fragen sich bang, ob Joe Biden als US-Präsi­dent das heillos zerstrit­tene Land wieder wird einigen können. Geschickt geht er bereits auf die Republi­kaner zu, die sich von dem Rüpel abgesetzt haben. Es ist immer richtig, die gefähr­lichsten Gegner zu isolieren. Doch der Versuch, sich mit dem harten Kern der Trumpisten zu versöhnen, mit jenen 45 % der ‑ump-Wähler, die den Sturm auf das Kapitol befür­worten, ist wohl zum Schei­tern verur­teilt und wäre auch politisch falsch. Aus drei Gründen – oder soll ich sie nach dem Vorbild von Konfu­zius und Sokrates besser als Fragen formu­lieren? Mal auspro­bieren…

Erste Frage: Ist ein Großteil der Trumpisten für Leute wie Biden, Kamala Harris oder Nancy Pelosi überhaupt erreichbar? Tarek Barkouni hat in »Kraut­re­porter« in der ausgiebig fotogra­fierten und gefilmten Schar der Sturm­truppen drei Gruppen identi­fi­ziert: die Q‑Leute, die sich in Inter­net­foren ritua­li­siert gegen­seitig fragen, ob alle Demokraten afrojü­disch-kommu­nis­ti­sche Kinder­schänder sind; die »Proud Boys«, eine schwer bewaff­nete Art von Cowboy-SA; und als größte Gruppe die sog. Patrioten, militant konser­va­tive, natio­na­lis­ti­sche und rassis­ti­sche Spieß­bürger. Weiß natür­lich (inklu­sive Latinos, die offenbar bei den Patrioten mitlaufen und früher wahrschein­lich für Pinochet geschwärmt hätten). Sind nicht alle drei Fraktionen gemein­ge­fähr­lich? Wenn mein Gegen­über mich für einen Kinder­schänder oder für einen Rassen­ver­räter hält, kann ich mir als Politiker dann nicht weitere Gespräche ersparen? Die einzelnen Menschen aus ihrem Wahn zu erlösen, ist das nicht eher eine Aufgabe für Psycho­the­ra­peuten und für persön­liche Freunde?

Zugehen auf den Ku-Klux-Klan?


Zweite Frage: Kann es überhaupt Kompro­misse mit Rassisten und Frauen­feinden geben? Dazu gehört auch die Frage, was sich hinter der Parole der »gestoh­lenen Wahl« eigent­lich für eine Haltung verbirgt. Wir haben hier in Europa dank der Perso­nen­fi­xiert­heit unserer Journa­lis­tinnen und ‑ten meist nur den gekränkten Narzissten im Weißen Haus im Blick. Aber ein Blick in die ameri­ka­ni­sche Geschichte, zum Beispiel in diesen engli­schen Wikipedia-Artikel über die Geschichte der Afroame­ri­kaner im US-Kongress, hat mir gezeigt, dass es eine seit 1868 gepflegte Tradi­tion in Usa gibt, Afroame­ri­ka­ne­rinnen und ‑ner mit praktisch allen Mitteln daran zu hindern, an Wahlen teilzu­nehmen. Müssen wir nicht annehmen, dass weiße Rassis­tinnen in Usa der Überzeu­gung sind, dass nur weiße Stimmen zählen? Dass Mehrheiten, die mit Hilfe von Stimmen von Afroame­ri­ka­nern zustande gekommen sind, also illegitim sind? Dass ‑ump nach Abzug aller »illegi­timen« Stimmen von Afroame­ri­ka­ne­rinnen und deren weißen Freunden, also Verrä­te­rinnen der eigenen überle­genen Rasse, sowie von feminis­tisch verstrahlten, also unzurech­nungs­fä­higen Frauen natür­lich die Wahl gewonnen hätte? Wenn das aber die Grund­lage des militanten Wider­stands dieser Leute ist – wie könnte dann ein Kompro­miss aussehen? Würde jedes Zugeständnis an eine solche Haltung nicht die demokra­ti­schen Rechte zahlrei­cher Menschen in den Dreck treten? Oder sogar ihr Leben gefährden?

Arme Globalisierungsverlierer?

Dritte Frage: Sind bewaff­nete Monster-Pickup-Fahrer wirklich bedau­erns­werte »Globa­li­sie­rungs­ver­lierer« oder »Verlierer des Klima­schutzes«? Das mittel­eu­ro­päi­sche Sozial­ar­bei­te­rin­nen­herz öffnet sich gerne für Ernied­rigte und Belei­digte, und gerne entdeckt es auch in den Reihen militant und faschis­tisch auftre­tender Feinde der offenen und fried­fer­tigen Gesell­schaft irgend­welche Opfer, die ein Recht auf Betreuung haben. Ja, viele Trumpisten sind Arbeiter aus der Autoin­dus­trie, der Kohle­indus­trie, der Erdöl­in­dus­trie. Ist es ein Wunder, dass diese Leute von Klima­schutz nichts halten und deshalb den Präsi­denten wählen, der von Klima­schutz maximal weit entfernt ist? Folgen sie dabei nicht schlicht und einfach ihrem ökono­mi­schen Inter­esse? Jahrzehn­te­lang haben sie mit der staat­lich geför­derten und vielfach heilig gespro­chenen Produk­tion von Monster­autos, Kohlestrom und unbegrenzten Treib­stoff­fluten klotzig verdient, sich fette Häuser gebaut und stets die breitesten und schwersten Autos gegönnt. Ist es nicht eine seltsame Idee, Leute, die in tonnen­schweren Pickups posieren, für arm und ausge­beutet zu halten, für Opfer einer »urbanen Elite«, die es »sich leisten kann«, mit der Metro oder dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren? Wenn diese Leute ihre für ewig sicher gehal­tenen, gut bezahlten Arbeits­plätze verlieren, weil sich die Welt ihre Produkte nicht mehr länger leisten kann, verlieren sie dann nicht in Wirklich­keit ein Privileg, rücken also in ein hinteres Mittel­feld zurück, in dem sich Lebens­mit­tel­ver­käu­fe­rinnen, Friseure, Paket­bo­tinnen, Reini­gungs­kräfte schon lange befinden? Muss die Regie­rung sie wirklich deswegen öffent­lich bedauern und pampern? Oder wäre es nicht sinnvoller, wir würden uns darauf konzen­trieren, dieses hintere Mittel­feld der system­re­le­vanten Dienst­leis­te­rinnen und ‑ler insge­samt besser zu stellen?

Experi­ment gelungen: Man kann auch in Frage­form treff­lich polemi­sieren – oder?

Andere Stimmen dazu

Carolin Emcke kam am 15. Januar 2021 in ihrer Kolumne in der Süddeut­schen zu einem ähnli­chen Ergebnis. Sie warnte vor dem “reflex­haften Beschö­nigen faschis­ti­scher Demagogie”. Emcke: “Eine politi­sche Öffent­lich­keit jedoch, die sich scheut, Ressen­ti­ment und Lüge auch dann zu benennen, wenn sie populär sind, höhlt nicht nur den eigenen Begriff von Wahrheit aus, sie infan­ti­li­siert auch die Bürge­rinnen und Bürger, denen der Bezug zur Realität oder zum Grund­ge­setz angeb­lich nicht zugemutet werden kann.”

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

Ein Gedanke zu „Warum eine Versöhnung mit Trumpisten nicht möglich sein wird“

  1. Der Bourgeoisie der USA ist es vortreff­lich gelungen den subal­ternen Klassen Sehnsüchte nach Solida­rität und sozialer Gerech­tig­keit abzuge­wöhnen. Diese erfolg­reiche Zurich­tung, nicht zuletzt durch die Kultur­in­dus­trie, könnte sich jedoch als Pyrrhus­sieg erweisen. Wenn selbst der Habenichts sich vor nichts mehr fürchtet als vor einem höheren Maß an Gleich­heit, dürfte das nicht ohne Auswir­kungen auf die Psyche der Betref­fenden bleiben. Es kann doch einfach nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn er (oder sie) trotz ständig steigenden Börsen­kursen immer heftiger stram­peln muss um die Raten für die Hypothek und das Häuschen aufzu­bringen oder wenn der eigene wirtschaft­liche Erfolg so viel geringer ausfällt als erhofft. Da können doch nur finstere Mächte am Werke sein. Höchst­wahr­schein­lich Sozia­listen, Kommu­nisten, Antifa, Juden, aufmüp­fige Schwarze, Migranten, emanzi­pierte Frauen, Schwule oder höchst­wahr­schein­lich stecken alle zusammen dahinter. Diese Wahnvor­stel­lungen offen­baren ein destruk­tives Poten­tial, das in einer allge­meinen Raserei enden könnte, die einer reibungs­losen Kapital­ver­wer­tung ziemlich abträg­lich wäre. Es wäre nicht das erste mal, dass die Bourgeoisie Monster erschafft, die ihr schließ­lich über den Kopf wachsen.

    Ist eine Versöh­nung mit den außer Rand und Band geratenen „Trumpisten“, oder wie man sie sonst nennen mag, möglich? Joe Biden, ein Prototyp aus den Reihen der US-Eliten, wird sie jeden­falls nicht so schnell und vielleicht überhaupt nicht einge­fangen kriegen. Für die politi­sche Linke dürfte sich die Frage nach Versöh­nung gar nicht erst stellen. Dazu ist im Artikel von Jens alles Notwen­dige gesagt worden. Wäre Heilung möglich? Vielleicht. Hierfür müssten sich „Trumpisten“ in einen Prozess der Trauer­ar­beit begeben und von einer Menge heiß geliebter Vorstel­lungen Abschied nehmen. Abschied nehmen von der Vorstel­lung, dass Weiße mehr wert sind als Schwarze, Abschied nehmen von der Vorstel­lung, dass Freiheit darin besteht, mit einer Knarre rumzu­laufen und unbegrenzt billigen Sprit zu verfahren, Abschied nehmen von der Vorstel­lung, dass angeb­lich in der Gründer­zeit der USA erfolg­reiche Lebens­ent­würfe auch heute noch so funktio­nieren wie damals, Abschied nehmen von der Vorstel­lung davon, dass jeder seines eigenen Glücks Schmied ist und sozial­staat­liche Siche­rungen daher entbehr­lich und nur ein Hindernis für die Tüchtigen sind.

    Wie eine solche Trauer­ar­beit als Grund­lage für eine Versöh­nung zustande kommen könnte, übersteigt aller­dings meine Phantasie bei weitem. Es wäre wohl schon als Erfolg zu verbu­chen, wenn die allge­meine Erregung etwas abklingen und die USA zum normalen kapita­lis­ti­schen Wahnsinn zurück­kehren würde. Den einzigen kleine Silber­streif sehe ich allen­falls in Presse­mel­dungen darüber, dass „Trumpisten“, denen Obamacare Vorteile brachte, derart positiv auf die Geset­zes­än­de­rung reagierten, dass die Republi­ka­ni­sche Partei sich genötigt sah, die Gegen­pro­pa­ganda ins Klein­ge­druckte zu verbannen. Auf einen klitze­kleiner Funken restli­chen Verstandes darf man also sogar bei „Trumpisten“ noch hoffen.

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