Der Bürgerentscheid für einen Nationalpark Eggegebirge ging im Juni 2024 in den beiden Kreisen Paderborn und Höxter für die Freunde der Wildnis verloren (mit 45:55 in Paderborn und 34:66 in Höxter). Ein Blick auf die Einzelergebnisse der Kommunen und eine philosophische Nachbetrachtung mit Hilfe der Kategorien “Bleibefreiheit” und “Phantombesitz” der Philosophin Eva von Redecker.
Wenn ich mir die Einzelergebnisse der Kommunen (Kreis Paderborn; Kreis Höxter) anschaue, fällt mir auf:
- Die Stadt Paderborn war die einzige Kommune, in der der Bürgerentscheid positiv ausgefallen ist, mit 53,8 % Ja-Stimmen.
- Die Stadt Höxter hatte mit 41,8 % Ja-Stimmen den höchsten Ja-Wert im Kreis Höxter.
- Borchen, praktisch ein Vorort von Paderborn, hatte mit 43,7 % Ja-Stimmen den zweithöchsten Wert unter allen Kommunen der beiden Kreise.
- Leider war die Beteiligung in der Stadt Paderborn mit 42,3 % am niedrigsten im Kreisgebiet; ebenso bei der Stadt Höxter mit 52,5 %.
Wir sollten als Naturschützer daraus lernen, dass die meisten Nationalparkbefürworter in den größeren Städten (und deren Umland) wohnen, und dass es sich lohnt, den „Wahlkampf“ auf die größeren Städte zu konzentrieren, um dort die Beteiligung zu vergrößern. Sie ist dort leider „von Natur aus“ zunächst eher niedrig, weil sich die meisten Großstädter vom Thema weniger direkt betroffen fühlen als die Landbevölkerung. Eine etwaige weitere Kampagne in einer anderen Region sollte sich also darauf konzentrieren, bei den Großstadtbewohnern mehr Betroffenheitsgefühl im positiven Sinne auszulösen. Das wäre auch gesünder für die Aktiven als sich permanent an dogmatischen Gegnern dort abzuarbeiten, wo sie die Hegemonie besitzen.
Ein Sonderfall scheint mir Bad Driburg zu sein. Dieser Kurort würde wahrscheinlich am stärksten durch den Nationalparktourismus profitieren. Dennoch stimmten dort nur 28,8 % mit Ja. Ich vermute, das geht auf den Einfluss des Grafen v. Oeynhausen-Sierstorpff zurück, der seit dem Streit um seine Autorennstrecke am Bilster Berg vermutlich ein Naturschutzfeind 1. Kategorie ist.
Bleibefreiheit für Bäume
Am 14. Juni 2024 diskutierte ich mit der norddeutschen Philosophin Eva von Redecker im Historischen Museum Bielefeld über »Bleibefreiheit« und die von Redecker ausgerufene »Revolution für das Leben«. Ihre Begriffe erschienen mir nützlich zu sein, um zu verstehen, was in der Region um das Eggegebirge geschehen war. Zunächst ist Redeckers »Bleibefreiheit« ein schöner Begriff für das erstrebte Ziel einer Wildnis im Eggegebirge. Es geht dort gewissermaßen um eine Bleibefreiheit für Bäume; sie sollen stehen bleiben und so alt werden dürfen, wie sie es von Natur aus wollen.
Auf der Gegenseite finden wir Menschen, die eine Art »Phantombesitz« erbittert verteidigen. Denn ihnen gehören die Waldflächen nicht, um die es geht; die gehören dem Land NRW, also allen Bürgerinnen und Bürgern des Landes. Doch unbeeindruckt plakatierten die Gegner »Unsere Egge« und verteidigten „ihre Egge“, so wie sie war und ist, gegen Änderungen, die sie als äußere „Bedrohungen“ empfinden: Naturschützer aus der Stadt, Regierungsbeamte, Touristen aus dem Ruhrgebiet. Sie wollen dort unser sich bleiben, hübsch mit Harvestern und Hochständen, da soll sich bloß niemand einmischen und irgendwas ändern. Sie verteidigen die forstliche Nutzung, also die regelmäßige Entfernung der Bäume, gegen ein etwaiges Bleiberecht von Bäumen und Baumfreunden, weil sie ihren Phantombesitz von der Arbeit ableiten, die Menschen und Maschinen dort jahrzehntelang geleistet haben und leisten. Nur was wir gestalten und umgestalten, gehört uns, so glauben die Gegner (ein Dogma der Betonköpfe); eine Wildnis löst kein Besitzergefühl aus, kein Gefühl der eigenen Verfügungsgewalt, der eigenen »Sachherrschaft« (ein weiterer Schlüsselbegriff Redeckers). Das war Ende Mai in einer Veranstaltung in Bad Lippspringe deutlich zu spüren, als ein engagiert naturfreundlicher Forstmann sprach. Der plädierte dringend für von Menschen aktiv gestaltete »Naturwälder« und gegen Wildnisgebiete; erstere könnten eine höhere Artenvielfalt erzeugen.
„Gute“ und „böse“ Arbeitsplätze
Interessant auch immer wieder das heftige Ressentiment der Gegner gegen Touristen und eine stärkere touristische Nutzung des Gebietes. Sie wollen die Schönheiten „ihre Egge“ nicht mit fremden Menschen teilen. Die dadurch etwa zu schaffenden Arbeitsplätze diffamieren sie vorsorglich als „böse Arbeitsplätze“ (im Dienstleistungsbereich), während die angeblich bedrohten Arbeitsplätze in Forstwirtschaft und Holzindustrie als „gute Arbeitsplätze“ (in Landwirtschaft und Industrie) gelten. „Böse Arbeitsplätze“ haben mit (fremden) Menschen zu tun, „gute Arbeitsplätze“ mit (eigenen) Maschinen. Ein Aspekt, der Karl Marx und anderen Entfremdungskritikern vielleicht entgangen ist: Die Produkte der Arbeit mögen zwar den Produzenten fremd bleiben, aber zu den Werkzeugen, die sie am Arbeitstag benutzen, also den handgreiflichen Produktionsmitteln, entwickeln sie ein Eigenheitsgefühl oder Phantombesitzgefühl, weil sie sie während der Arbeit beherrschen, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen.