Der umgedrehte Hobbes: Jäger und Sammler waren nicht kriegerisch, sondern solidarisch

Der immer noch häufig zitierte briti­sche Philo­soph Thomas Hobbes behaup­tete 1651 in seinem staats­theo­r­ethi­schen Werk »Levia­than«, die Menschen im Natur­zu­stand hätten einen Krieg aller gegen alle (bellum omnium contra omnes) geführt. Diese These warf eigent­lich immer schon die Frage auf, wie die Mensch­heit diesen lebens­ge­fähr­li­chen Zustand über Zehntau­sende von Jahren hinweg überlebt haben soll. Dass an Hobbes’ Theorie und Basta-Dogma nichts dran ist, zeigen neuere Erkennt­nisse von Anthro­po­logen und Geneti­kern, die Carel van Schaik und Kai Michel 2016 zusam­men­trugen.

Anthro­po­logen und Genetiker haben aller­hand Neues über die Frühge­schichte der Mensch­heit heraus­ge­funden. Demnach entstand der Homo sapiens vor etwa 280.000 Jahren nicht an einem Ort, sondern zerstreut in Afrika. Als Marker dient nach neuen geneti­schen Erkennt­nissen (Evan Eichler, Seattle) das BolA2-Gen auf Chromosom 16. Es codiert ein Protein im Eisen­stoff­wechsel. Seit 280.000 Jahren kommt es bei vielen Menschen in vier, sechs, elf oder zwölf Kopien vor; bis dahin nur in zwei Kopien. In der Folge vergrö­ßerte sich der Eisen­ge­halt des Blutes und damit seine Fähig­keit, schnell große Mengen Sauer­stoff aufzu­nehmen. Erst das befähigte die Menschen zum Dauer­lauf und damit zu einer hochef­fi­zi­enten Jagdtechnik. Sie konnten Tiere zu Tode hetzen und so ihren Fleisch­konsum stark vergrö­ßern – im Vergleich zum Homo rhode­si­ensis in Afrika, zum Neander­taler in Europa und zum Denisov-Menschen in Asien.  Der höhere Fleisch­konsum ermög­lichte wiederum eine starke Zunahme des Gehirns. Etwa gleich­zeitig dürften andere Genver­dopp­lungen eine Zunahme der kogni­tiven Fähig­keiten bewirkt haben. Die sexuelle Vermi­schung der Stämme in Afrika sorgte dafür, dass diese geneti­schen Vorteile zusam­men­fanden und sich im Konti­nent ausbrei­teten.[1] [Vielleicht ist unsere Neigung zum sexuellen Exotismus ein Echo dieser Erfolgs­stra­tegie. JJK]

Und die Bibel hat doch Recht!

In der Bibel spiegeln sich die Probleme des Übergangs der Mensch­heit vom Jäger-und-Sammler-Dasein zur Sesshaf­tig­keit mit Ackerbau und Viehzucht vielfältig wider: Moses‘ Geset­zes­ta­feln, Kain und Abel, die Sintflut, Jakob und Esau, Josef und seine Brüder – alles Geschichten, die die Krisen der frühen sesshaft gewor­denen Gesell­schaften symbo­li­sieren. Der Anthro­po­loge Carel van Schaik und der Histo­riker Kai Michel drehen Hobbes‘ Wolfs­these um: »Unsere nomadi­schen Vorfahren haben vermut­lich nie im Paradies gelebt. Weil sie aber für Zehntau­sende von Jahren in kleinen Gruppen als Jäger und Sammler umher­zogen, waren sie hervor­ra­gend an dieses Dasein angepasst. Weder gab es nennens­werten Besitz noch ausge­prägte Hierar­chien. Die Beute wurde geteilt. Da man keine Vorräte anlegen konnte, waren soziale Bezie­hungen die Lebens­ver­si­che­rung. Egoisten wurden … von der Gruppe in die Schranken gewiesen, wenn nicht verstoßen oder gar getötet. Unter diesen Bedin­gungen entstand als zentrale morali­sche Intui­tion [Insti­tu­tion?] der Sinn für Gleich­heit, Gerech­tig­keit und Gemein­schaft.« Hobbes hatte also Unrecht: Die Menschen im »Natur­zu­stand« führten keines­wegs einen Krieg aller gegen alle (bellum omnium contra omnes)!

Dumm gelaufen: Ackerbau und Viehzucht

Ackerbau und Viehzucht entstanden wohl zufällig. In Lager­nähe sähten sich die Pflanzen aus, deren Früchte die Frauen gesam­melt hatten. [Wahrschein­lich wegen der vielen Kerne, die sich in Lager­nähe ansam­melten. JJK] Jäger brachten gelegent­lich lebende Jungtiere mit [vielleicht um sie ihren Kindern zu zeigen – JJK], so lag es nahe, sie zu domes­ti­zieren. Mögli­cher­weise ließ ein Klima­wandel vor rund 12.000 Jahren in der ganzen Region zwischen Levante und Euphrat die Wildbe­stände einbre­chen, oder sie waren schlicht übernutzt, sodass die Stämme dazu übergingen, nicht mehr weiter­zu­ziehen, sondern sich ganz auf Ackerbau und Viehzucht zu verlassen. Die Folgen waren zum Teil verhee­rend: Die Arbeits­zeit nahm drastisch zu, die Menschen blieben kleiner und starben früher, was man durch Skelett­funde nachweisen kann. Die Kinder wurden früher entwöhnt,[2] wodurch die Zahl der Geburten zunahm. Die Solida­rität der Jagdge­mein­schaften verschwand, da, wer Vorräte hatte, die Hilfe der anderen nicht mehr brauchte. Zugleich musste er sich bewaffnen, um die Vorräte gegen Diebe zu vertei­digen. Es entstand Grund­ei­gentum; die Patri­ar­chen brauchten Söhne, um es zu vertei­digen, konnten es aber nur an einen der Söhne weiter­ver­erben. [Aus den anderen wurden Soldaten: So entstand das Militär.] Konkur­renz kam auf und mit ihr Despoten, die vor 6000 Jahren die Macht in den entste­henden Staaten an sich rissen: Unter­drü­ckung, Ungerech­tigkeit, Krieg. [Wiederum ein umgekehrter Hobbes: Nicht der Krieg machte Despoten nötig, sondern Despoten brauchten den Krieg für ihren Macht­er­halt. JJK]

Zugleich entstand der Glaube an Geister und Götter, die als Ursachen für Glück und Unglück dienen mussten. Götter, die mit Tempeln und Opfern besänf­tigt werden mussten, um Kriege, Seuchen, Unwetter und Hungers­nöte abzuwenden. Aus der Erfah­rung mit Verhal­tens­weisen, die Krank­heiten, Seuchen, Hungers­nöten usw. voraus­ge­gangen waren, wurden Gesetze abgeleitet, die man Gott in den Mund legte. Die Gesetze der Bibel und der Thora regeln z. B. penibel die Hygiene, die in der Enge der Städte oder der Heere zur Vermei­dung von Seuchen nötig war. Das funktio­nierte auch dann, wenn man nichts von Bakte­rien und Viren wusste, sondern statt­dessen einen Zorn Gottes durch rechtes und frommes Verhalten beschwich­tigen wollte.[3]


[1]   Ulrich Bahnsen: Familie Mensch. Die Zeit 15.9.2016

[2]   Siehe Jean Liedloff: Auf der Suche nach dem verlo­renen Glück (1981). Das Paradies war die Zeit, als die Säuglinge lange von den Müttern herum­ge­tragen und gestillt wurden.

[3]   C. van Schaik, K. Michel: Der Sünden­fall. Die Zeit 15.9.2016 (Auszug aus: Das Tagebuch der Mensch­heit. Was die Bibel über unsere Evolu­tion verrät. Reinbek 2016)

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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