War Macrons Vorstoß zum Regenwald kolonialistisch? Nein, wenn…

…ähnliche Vorstöße auch umgekehrt möglich sind, von Latein­ame­rika nach Europa. Emmanuel Macron hatte zum brennenden brasi­lia­ni­schen Regen­wald spontan gesagt: „Unser Haus brennt!“ Er hat als franzö­si­scher Staats­prä­si­dent ein Wir benutzt, das die ganze Mensch­heit umfasst; ein Appell, den wir sonst vor allem von inter­na­tio­nalen Umwelt­organisationen kennen. Sein brasi­lia­ni­scher Wider­sa­cher Jair Bolso­naro empörte sich wie einst Erich Honecker über eine „Einmi­schung in innere Angelegen­heiten Brasi­liens“. Vielleicht zurecht?

Macron hat in diesem Moment für mich und viele andere gespro­chen: Ja, auch ich sehe mich im gleichen Haus, zu dem der brasi­lia­ni­sche Regen­wald gehört. Zum Glück ist die Mensch­heit inzwi­schen so weit entwi­ckelt, dass Empathie und Hilfs­be­reit­schaft nicht an Grenzen und Ozeanen Halt machen, und dass viele in der Lage sind, die Lebens­grund­lagen und Errun­gen­schaften der Mensch­heit überall auf der Welt zu respek­tieren und notfalls zu vertei­digen. Dieser Fortschritt äußerte sich in Macrons Stellung­nahme. 

Die nationalistische Reaktion

Bolso­n­aros Attacke auf Macron verkör­pert die natio­na­lis­ti­sche Reaktion, die gerade weltweit durch viele Länder geht und den Inter­na­tio­na­lismus bekämpft, vor allem den inter­na­tio­nalen Klima- und Umwelt­schutz, den inter­na­tio­nalen Pazifismus und den inter­na­tio­nalen Humanismus, den weltweiten Einsatz für Menschen­rechte von Minder­heiten, Opposi­tio­nellen, Flücht­lingen usw. Trump, Farage, Salvini, Bolso­naro & Can. (steht für Canailles) mobili­sieren vorzugs­weise den plumpen, tenden­ziell gewalt­tä­tigen Egoismus von Haus- und Autobe­sit­zern, um die gemeinschäd­lichen Privi­le­gien alter Indus­tri­eller und Großagra­rier vor dem gesell­schaft­li­chen Wandel zu schützen. Den Zusam­men­hang von AfD und Arbei­ter­aris­to­kratie analy­siere ich auf Rubikon. Dabei greifen die Natio­na­listen gerne auf die 230 Jahre alte Standard-Verschwö­rungs­theorie zurück, die alle Übel der Welt mit geheimen Machen­schaften einer inter­na­tional operie­renden Elite erklärt. Macrons Beistand für die Regenwald­schützer passte wunderbar in dieses Feind­bild.

Die Abgründe des internationalen Liberalismus

Gleich­wohl hat der inter­na­tional inter­ve­nie­rende „Libera­lismus“ eines Obama oder Macron auch Abgründe, die Bolso­naro geschickt ins Spiel bringt. Rüstungs­kon­trolle und Menschen­rechte wurden 1999 im Kosovo­krieg, 2003 im Krieg gegen den Irak, seit 1979 im Konflikt mit dem Iran und seit 2005 in Afgha­ni­stan als Vorwände benutzt, um teure Waffen­sys­teme und Armee­struk­turen auf realen Kriegs­schau­plätzen auszu­pro­bieren, um Muniti­ons­be­stände zu verbrau­chen oder um die Monopole konkur­rie­render Ölindus­trien (Saudi-Arabien, Usa) zu vertei­digen. Solche Motive sind auch in der Regie­rung Macron zu vermuten, denn die franzö­si­sche Rüstungs­in­dus­trie ist scharf auf militä­ri­sche Inter­ven­tionen und neue Aufrüs­tungs­pro­gramme. Hier steckt tatsäch­lich eine imperia­lis­ti­sche Macht; aber die inter­na­tio­nalen Natur­schützer und Humanisten, gegen die Bolso­naro haupt­säch­lich mobili­siert, haben solche Gegner ebenfalls auf dem Schirm. Der gleiche Topf, in den Bolso­naro seine Gegner wirft, existiert nicht.

Pro und contra diplomatische Fesseln

Es war aller­dings bislang unüblich, dass ein Staats­chef redet wie eine Klima­schutz-Aktivistin. Von einem Staats­chef erwarten offenbar andere Staats­chefs diplo­ma­ti­sche Zurück­haltung. Tatsäch­lich scheinen ein Einsatz für Natur­schätze in anderen Ländern, die Verein­nahmung solcher Natur­schätze für die ganze Mensch­heit und das Sprechen im Namen dieser Mensch­heit im Wider­spruch mit einem Friedens­grund­satz der UNO zu stehen: „Jeder Staat hat das Recht, seine politi­sche, gesell­schaft­liche, wirtschaft­liche und kultu­relle Ordnung frei zu wählen und zu entwi­ckeln.“ Dieser Grund­satz begegnet mir zufällig gleich­zeitig in einem aktuellen Aufruf zum Antikriegstag. Es könnte also sinnvoll sein, das Sprechen im Namen der Mensch­heit der UNO-General­ver­samm­lung, UNO-Gipfel­kon­fe­renzen und Organi­sa­tionen der Zivil­ge­sell­schaft zu überlassen, die über kein Militär verfügen. Anderer­seits hat Trump schon längst alle diplo­ma­ti­schen Fesseln zerfetzt und redet als Präsi­dent genauso wie er als Wahlkampf­redner, Privat­unternehmer oder Fernseh­fuzzi geredet hat. Macron hat sich die gleiche Freiheit genommen, diesmal aber nicht zugunsten einer rostenden Dinosau­rier-Indus­trie, sondern zugunsten des Weltklimas und der Arten­viel­falt. Deshalb wohl die Aufre­gung. So lange man sicher sein kann, dass er seine Düsen­jäger in den Hangars lässt, ist der Verstoß gegen diplo­ma­ti­sche Gepflo­gen­heiten wohl hinnehmbar und vergleichbar mit den weltweiten Spontan­re­ak­tionen auf das Feuer in Notre Dame. Perspek­ti­visch ist der oben zitierte UNO-Grund­satz in Zeiten weltum­span­nender Gefahren ohnehin nicht länger zu halten, zumin­dest nicht ohne Einschrän­kungen. Brasi­lien und Indone­sien haben definitiv nicht das Recht, ihre Regen­wälder, die unsere Regen­wälder sind, aus freien Stücken zu verbrennen. Usa und Saudi-Arabien haben nicht das Recht, die Welt mit Dumping-Öl zu überfluten. Usa hat nicht das Recht, borealen Regen­wald in Alaska zu fällen. Und Frank­reich hätte nicht das Recht, den letzten natür­lich fließenden Strom Europas, die Loire, mit Wasser­kraft­werken zu verbauen, was zum Glück auch nicht geplant ist.

Hoch die internationalen Brigaden!

Ein weiterer Abgrund des Umwelt-Inter­na­tio­na­lismus, den ich hier übernommen habe, ist seine aus Zeiten des Kolonia­lismus her einge­bür­gerte Einsei­tig­keit. Europäer schützen gerne Regen­wälder in Asien und Latein­ame­rika oder Wale im Pazifik, gut. Aber selten oder nie schützen Japaner Kabel­jaue in der Nordsee, schützen Argen­ti­nier Buchen­wälder in Thüringen. Solche Gegen­sei­tig­keit würde den kolonia­lis­ti­schen Geruch zerstreuen, der dem europäi­schen Einsatz oft anhaftet. Doch Emotionen und Motive kann man nicht dekre­tieren, sie entstehen hoffent­lich alsbald als positive Frucht der Globali­sierung. Immerhin beim Klima­schutz sind wir bereits weiter: An den Demos gegen den sintflut­trächtigen Braun­koh­le­abbau im Rhein­land haben 201718, wenn ich mich richtig erinnere, auch Spreche­rinnen aus Usa und Japan teilge­nommen. So soll es sein! Gegen deutsche Kohle- und Benzin­ba­rone können wir die solida­ri­sche Hilfe einer Inter­na­tio­nalen Brigade gut gebrau­chen.

Jens Jürgen Korff

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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