Ist Heimat eine faschistische Idee? Nee.

Thomas Ebermann und Thorsten Mense traten im Mai 2019 im Jugendzentrum FlaFla in Herford auf mit ihrem kabarettistisch-kommunistischen Programm „Heimat – eine Besichtigung des Grauens“. Ebermanns Buch zum Thema heißt „Linke Heimatliebe. Eine Entwurzelung“. Ein bisschen Kritik.

Die beiden Altlinks­radikalen machten sich über das „Blumen-und-Boden-Magazin Landlust“ lustig und skandalisierten es zugleich von links. Heimat sei ein Ort, an dem „ein vermeintlich natürliches Sehnen nach Geborgenheit und Sicherheit erfüllt werde, oft verknüpft mit der Gegend, in der ein Mensch aufgewachsen ist“ (so der Berichterstatter). Der heimatliebende Mensch werde mit einem „tief in der Scholle verwurzelten Baum“ verglichen. Diese Heimat-Idee sei ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts und nur schwer vom Nazibegriff der „Volksgemeinschaft“ zu unterscheiden. Ihr Zweck sei, die Menschen mit ihrer Ausbeutung und Unterdrückung durch Kapitalisten zu versöhnen. „Wer sich in die Heimat flüchtet, will die Welt nicht verändern, sondern die Menschen mit den Verhältnissen versöhnen“ (Mense). Schlimmer noch: Heimat konstruiere ein Wir, aus dem Fremde ausgeschlossen würden, verbunden mit der Drohung, diejenigen, die in den Augen der Heimattreuen nicht dazugehören, zu vertreiben oder gar zu ermorden.

Die schräge Schollenmetapher

Schon die Metapher mit dem „in der Scholle verwurzelten Baum“ ist irreführend formuliert; denn Schollen nennt man die beim Pflügen aufgeworfenen Erdteile des Ackers. Die Scholle ist ein pars pro toto (Teilbegriff fürs Ganze) für Ackerland. Auf dem Acker wachsen keine Bäume. Bäume wurzeln im Waldboden, im Garten oder im Park. Ebermann und Mense greifen hier womöglich bewusst zu einer schiefen Metapher, weil die Scholle ein beliebter Nazibegriff war, ein Begriff aus der Bauernpropaganda der Nazis und zuvor schon der Deutschnationalen. Die Scholle steht für den Boden, den der Bauer bearbeitet. Der Versuch der Faschisten, die Bauern mit ihrer Scholle, also dem Ackerland zu verknüpfen, griff das uralte feudalistische Konzept der Grundherrschaft auf, denn auch dort durften die leibeigenen oder hörigen Bauern ihre Scholle nicht verlassen. Also ein präkapitalistisches Konzept – das nur nebenbei.

Heimat-Ideen des 19. Jahrhunderts

Historisch richtig ist, dass große Bestandteile der in Deutschland nach wie vor gängigen Heimat-Idee im 19. Jahr­hundert entstanden sind, als nationalkonservative Gelehrte und Propagandisten versuchten, den in Gründung begriffenen deutschen Nationalstaat mit echten oder vermeintlichen Traditionsfarben zu grundieren. Das kann und sollte man ausgiebig kritisieren, aber bitte nicht mit dem Faschismus in einen Topf werfen; denn der ist ein Produkt des 20. Jahrhunderts. Wenn Ebermann und Mense Heimatgefühle mit der Nazi-„Volksgemeinschaft“ assoziieren, springen sie intellektuell ziemlich kurz.

Heimat­gefühle entstehen biographisch dadurch, dass Menschen ihre Kindheit in einer bestimmten Gegend verbracht haben und deshalb Eigenschaften dieser Gegend mit Kindheitserinnerungen verknüpfen. Sie sind unabhängig vom Geburtsort, haben also nichts mit Blut- und Geburtsmythen und nichts mit Genetik zu tun. Das sehen konservative und faschistische Interpreten meist anders, aber denen folgen wir besser nicht. Dazu kommt die Möglichkeit der Wahlheimat: Ich selbst bin z. B. in Aachen aufgewachsen und 1999 (nach einer Zwischenstation in Köln) nach Ostwestfalen gezogen. Diese Wahlheimat löst bei mir stärkere Heimatgefühle aus als meine ursprüngliche Heimat, weil ich mich in Ostwestfalen intensiver mit Natur und Gegend auseinandergesetzt habe. 

Mit alledem will ich sagen: Heimatgefühle sind sehr individuell geprägt, bei jedem anders und auch kein Schicksal, sondern unterliegen unserer Gestaltungshoheit. Das faschistische Konzept der „Volksgemeinschaft“ dagegen konstruiert eine schicksalhaft gegebene kollektive Gemütslage, die Nationalisten und Faschisten für Millionen von Menschen postulieren und ihnen als soziale Norm auferlegen. Das ist der entscheidende Unterschied, Messieurs! Wenn ich Ihnen an dieser Stelle besserwisserisch behilflich sein durfte…

Geborgenheit

Zugestehen will ich allerdings, dass die in Heimatgefühlen präsente Sehnsucht nach Geborgenheit und Sicherheit problematisch ist. Ja, die Geborgenheit in der Heimat konkurriert mit der Geborgenheit in der Klasse, die in der Arbeiterbewegung entstanden ist. Es nützt aber wenig, auf das Interesse von Kapitalisten daran hinzuweisen, dass Klassenbewusstsein durch Heimatgefühle ersetzt wird. Denn die materialistische Standardfrage „Cui bono?“ („Wem nützt es?“) erklärt nicht, warum die Heimat­propaganda funktioniert. Sie funktioniert, weil sie an etwas anknüpfen kann, das tatsächlich vorhanden ist: zum Beispiel Solidarität in der Familie oder unter Nachbarn oder im Dorf. Hämische Hinweise auf streitende Familien und prozessierende Nachbarn („Romeo und Julia auf dem Dorfe“) gehen ins Leere, zumindest im hier angesprochenen Vergleich, weil das in der Arbeiterklasse nicht anders war. Interessanter fände ich Untersuchungen, woher dieses Bedürfnis nach Geborgenheit kommt, ob es noch in unsere Zeit passt, wer es hat und wer es nicht hat und in welchen Gruppierungen es sich sonst noch befriedigen lässt.

Jens Jürgen Korff, Juli 2019

„Die Wiederkehr der Heimat“. Neue Westfälische Herford 21.5.2019

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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