Die Arbeit geht uns aus? Leider nicht.

Das Laster der Faulheit ist nach wie vor verpönt, konsta­tiert Viola Schenz in der Süddeut­schen Zeitung vom 31.12.2017. Das sei ein Anachro­nismus, sagt sie, denn die künftige Arbeits­welt komme ohne Müßig­gang nicht aus: „Arbeit wird weniger. Die Digita­li­sie­rung nimmt uns eine Tätig­keit nach der anderen weg“, behauptet sie. Das dürfte ein Fehlschluss sein.

Den Prozess, den Viola Schenz beschreibt, gibt es in Deutsch­land und Europa schon seit Jahrhun­derten. Es ist die Steige­rung der Produk­ti­vität durch techni­sche Weiter­ent­wick­lungen. Zum ersten Mal drastisch ins Bewusst­sein vieler Deutscher drang er 1844 durch den Aufstand der schle­si­schen Weber. Die Arbeit dieser Menschen, die das Leinen in Heimar­beit auf Handweb­stühlen herstellten, wurde plötz­lich wertlos, als die ersten Fabriken mit mecha­ni­schen Webstühlen gebaut wurden. Die schle­si­schen Weber haben damals geglaubt, der Unter­gang ihrer eigenen Arbeit sei der Unter­gang der Arbeit schlechthin. Nach ihnen haben das ebenso geglaubt: die Kutscher und Pferde­knechte, als die Eisen­bahn kam; die Schuster und Schneider, als die Schuh- und die Textil­fa­briken kamen; die Zeitungs­jungen, als das Radio kam; die Theater­platz­an­weiser und Theater­schau­spieler, als das Kino kam; die Kinokas­sierer, als das Fernsehen kam; die Kohle­berg­leute, als Erdöl und Erdgas kamen; die Setzer und Metteure, als der Compu­ter­satz kam; die Biblio­the­kare, als Google kam. Doch passiert ist es nie: Wir arbeiten und arbeiten unver­drossen weiter; allen­falls etwas kürzer als früher.

Niemand, der einmal im Kranken­haus lag oder Angehö­rige hat, die im Alters­heim gepflegt werden, wird behaupten, dass es zu viele Pflege­kräfte gebe oder dass den Kranken­schwes­tern, Ärztinnen und Alten­pfle­gern wohl bald die Arbeit ausgehen werde. Wo ich gehe und stehe, sehe ich Arbeit, die leider nicht getan wird:

Nein, an Arbeit mangelt es uns nicht im geringsten. Es mangelt uns ledig­lich an Geld, um Leute für diese Arbeiten einzu­stellen oder sonstwie zu bezahlen. Nach einem bekannten Kalauer ist das Geld ja nicht weg; es ist bloß woanders. Offenbar liegt es überwie­gend bei Leuten, die kein Inter­esse an Kranken­häu­sern, Alten­heimen, Wikipedia, Insekten, Schulen, Brücken und zügigen Prozessen haben. Und den 95 Prozent, die Inter­esse an diesen Dingen haben, mangelt es offen­sicht­lich an Macht, vielleicht auch am Willen, das Geld, das man dafür braucht, dort herzu­holen, wo es liegt.

Auf der anderen Seite sehe ich Terajoule an Arbeit, die leider getan wird, obwohl es viel besser für sehr viele von uns wäre, wenn sie endlich liegen bliebe: Regen­wälder werden abgeholzt, um Palmöl oder Soja anzubauen; Bohrin­seln und Pipelines werden in der Arktis instal­liert; Schiffe und Lkw fahren mit Zwischen­pro­dukten wie verrückt auf der ganzen Erde hin und her (die berühmten Garnelen, die von Hamburg zum Pulen nach Rumänien und dann wieder zurück zum Hamburger Fisch­markt reisen); Parkhäuser werden umgebaut, damit überbreite Autos hinein­passen; Juristen erzeugen für ein Public-Private-Partner­ship-Projekt einen Vertrag, der, in Ordnern gesta­pelt, 4 Meter hoch ist.

Von alledem ist bei Schenz keine Rede, vermut­lich weil herrschende Kreise diese Art von Arbeit heilig gespro­chen haben. Dabei hätte Schenz hier einen schönen Bogen zum Ausgangs­punkt schlagen können: Denn aus dem gleichen Geist heraus werden Faulheit und „Spinnerei“ verpönt. Wer faul ist, könnte auf den „dummen Gedanken“ kommen, dass seine Arbeit in einer Spedi­tion oder einer Anwalts­kanzlei eine ist, die besser nicht getan wird.

Die Autorin lässt dann auch ziemlich direkt erkennen, dass die Ebene der Macht­ver­hält­nisse in unserer Gesell­schaft in ihrem Denken nicht vorkommt: Sie behauptet in ihrem histo­ri­schen Rückblick auf die Geschichte der Arbeit, „erst Maschi­ni­sie­rung und Automa­ti­sie­rung verkürzten die mensch­liche Wochen­ar­beits­zeit nach und nach“. Fehlt da nicht jemand im Bild? Es waren strei­kende Arbei­te­rinnen und Arbeiter, die die Arbeits­zeit verkürzt haben – zum Beispiel der große Streik der IG Metall für die Einfüh­rung der 35-Stunden-Woche 1987#. Seit es wegen der Schwäche der Gewerk­schaften praktisch keine Streiks mehr gibt, verkürzt sich auch die Arbeits­zeit nicht mehr – obwohl weiterhin wie verrückt automa­ti­siert wird: der zweite Ausgangs­punkt von Schenz‘ Argumen­ta­tion. Es gibt keine Arbeits­zeit­ver­kür­zung in der Geschichte, die die Unter­nehmer den Arbei­tern und Angestellten freiwillig geschenkt hätten. Jede davon mussten die Gewerk­schaften, in der Regel mithilfe von Streiks und Tarif­ver­trägen, gegen die Unter­nehmer durch­setzen.

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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