Wie Heino und Rammstein, Sonnen und Boxer zusammenpassen

Beim schwarz-rot-feurigen Kombi-Auftritt in Wacken fand 2013 zusammen, was zusammengehört. Ein zeitgenössischer Gastbeitrag von Toni Kalverbenden (tonikal), passend zum Silvesterfeuerwerk.
Zunächst konnte man über die geniale Idee des meistparodierten deutschen Barden und die beleidigten Reaktionen schmunzeln: Enzian-Heino, die 75jährige Sonnenbrille der Nation, hatte sich erlaubt, in seinem Album »Mit freundlichen Grüßen« zurückzuschlagen und Stücke der Rock- und Hip-Hop-Bands »Die Ärzte«, »Rammstein« und »Die Fantastischen Vier« zu covern. Daraus wurde im August 2013 ein gemeinsamer Auftritt von Heino und Rammstein auf dem Metal-Rock-Festival in Wacken (Schleswig-Holstein). Zeit, sich genauer anzuhören, was die Herren da eigentlich gesungen haben: eine merkwürdige Mischung aus Boxrhythmus und Sonnenkult. Toni Kalverbenden löst das Rätsel mit Hilfe des Philologen Victor Klemperer. Dabei kann Friedensfreunden das Lachen vergehen.

Heino trat im roten Mantel auf, die Rammsteiner im üblichen schwarzen Zeug, behängt mit allerlei Metallteilen. Dazwischen stiegen aus Bühnendüsen Feuerfontänen auf. Man sang gemeinsam ein Rammstein-Lied namens »Sonne«. Textprobe:
Die Sonne scheint mir aus den Händen / kann verbrennen, kann euch blenden / wenn sie aus den Fäusten bricht / legt sich heiß auf das Gesicht / sie wird heute Nacht nicht untergehen / und die Welt zählt laut bis zehn.
Das Lied simuliert einen Boxkampf; die Zahlen des Refrains zählen den zu Boden gegangenen Boxer aus. Die Kombination von Boxen und Sonne scheint ähnlich absurd zu sein wie die Kombination von Heino und Rammstein. Ist sie aber nicht. Ein Blick in Victor Klemperers philologischen Klassiker »LTI« aus dem Jahre 1947 löst das Rätsel. In diesem »Notizbuch eines Philologen« hatte Klemperer, der als Jude von den Nazis erst entlassen und dann verfolgt wurde, nicht emigrierte und mit viel Glück Terror und Krieg überlebte, Betrachtungen über die »Sprache des Dritten Reiches« angestellt. Um die Notizen vor der Gestapo zu verstecken, verwendete er als Titel die lateinische Abkürzung LTI – für Lingua Tertii Imperii. Dort finden wir ein Kapitel XXII mit dem Titel »Sonnige Weltanschauung« und ein Kapitel XXXII mit dem Titel »Boxen«.
Klemperer fiel auf, dass in der Nazizeit die modischen Darstellungen blonder, blauäugiger Jungen und Mädchen sehr häufig, schon fast stereotyp mit dem Attribut »sonnig« versehen wurden. Das hing mit dem angeblich germanischen Sonnenkult der antichristlichen Nazis zusammen – auch das Hakenkreuz gilt ja als ein (altasiatisches) Sonnensymbol. Klemperer stieß aber auch auf einen Hinweis auf eine ganz andere Quelle: ein amerikanischer Spielfilm namens »Sonny Boy«, der um 1930 auch in Deutschland populär war. Die deutschen Zuschauer übersetzten das Wort »sonny« einfach mit »sonnig«, obwohl es im Englischen gar nichts mit sun (Sonne) zu tun hat, sondern von son (Sohn) abgeleitet wird.
Hitler und vor allem Goebbels liebten nicht nur den Sportpalast, sie liebten es auch, ihre Reden mit Sportmetaphern zu schmücken. Meist griffen sie zu Gleichnissen aus dem Fußball, dem Radsport, dem Laufen oder dem Boxen. Schon der Titel von Hitlers Buch hätte zu einer Autobiographie von Max Schmeling gepasst. Der Kunstmaler, der 1919 »beschloss, Politiker zu werden«, inszenierte sein faschistisches Mördermanifest als Boxkampf: Ich, Adolf, trete an gegen die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung. Klemperer stieß in dem Machwerk auf eine typische Stelle, in der Hitler die »Erziehungsgrundsätze des völkischen Staates« entwickelt und dabei ausführlich auf den Boxsport eingeht. Warum gerade Boxen? Hitler begründete es historisch: »Würde unsere gesamte geistige Oberschicht einst nicht so ausschließlich in vornehmen Anstandsregeln erzogen worden sein, hätte sie anstelle dessen durchgehends Boxen gelernt, so wäre eine deutsche Revolution von Zuhältern, Deserteuren und ähnlichem Gesindel niemals möglich gewesen.« Damit meinte er die Novemberrevolution von 1918, die ihn traumatisiert hatte – und schien wirklich zu glauben, dass man mit Faustschlägen die Weltgeschichte verändern könne.
Doktor Goebbels besaß die unfassliche Rohheit, die Katastrophe von Stalingrad, wo gerade Zehntausende auf Befehl ihrer Offiziere erfroren waren, in einer Rede »locker« zu nehmen und dazu rhetorisch Seilchen zu springen: »Wir wischen uns das Blut aus den Augen, damit wir klar sehen können, und geht es in die nächste Runde, dann stehen wir wieder fest auf den Beinen.« Nebenbei gewährte Joseph vom Totalen Krieg hier einen Einblick in seine Psyche: Die schlimmsten Mörder schaffen es offenbar, ihre apokalyptischen Untaten mit ihrem Menschsein zu vereinbaren, indem sie das alles als Spiel sehen. Sie tun so, als wären sie Kinder; als wäre ihre Grausamkeit die Grausamkeit eines bösen Buben, der eine Katze quält.
Da schließt sich der Kreis zu den finsteren Jungs von Rammstein, die sicher auch nur spielen wollen. Heino sowieso. Und wir Pazifisten und Antifaschisten sind hoffentlich die Spielverderber.

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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