„Die Grünen streben eine Ökodiktatur an.“ Wer soll das glauben?

Oder, eine Nummer kleiner: „Die Ökos wollen uns bevor­munden“ oder „Die Grünen sind eine Verbots­partei“. Letzteres behaup­tete Focus​.de zuletzt am 24.10.2019. Als Beweis schlechthin für diese steile These gilt seit dem Sommer­loch 2013 der ominöse „Veggieday“, den ein CDU-Politiker, die Frank­furter Allge­meine und die Bild-Zeitung damals im Wahlpro­gramm der Grünen als Forde­rung entdeckten. Um ein Signal gegen den enormen Fleisch­konsum der Deutschen zu setzen, sollten öffent­liche Kantinen nach dem damaligen Willen der Grünen Bundes­de­le­gierten nur vegeta­ri­sche Gerichte anbieten. Journa­listen und politi­sche Gegner fertigten daraus den Popanz eines Versuchs, allen Deutschen vorzu­schreiben, was sie zu essen hätten.

Wie bitte? Wenn es in der Schule nebenan donners­tags kein Fleisch gibt, wird mir dadurch vorge­schrieben, an diesem Tag ebenfalls kein Fleisch zu essen? Oder den Schülern? Die können doch abends immer noch ihren Döner essen. Was ist mit den vielen umgekehrten Fällen? Neulich trat ich in der Mittags­pause einer Tagung der Bezirks­re­gie­rung Detmold etwas zu spät ans Buffet und fand nur noch Salami­bröt­chen vor. Alle Käsebröt­chen waren schon weg. Da fühlte ich mich tatsäch­lich bevor­mundet, und zwar von der Fleisch­lobby, die irgendwie dafür sorgt, dass es bei solchen Gelegen­heiten meistens ein Überan­gebot an Fleisch gibt. Dass das in Schul­kan­tinen offenbar regel­mäßig so ist, ging im Herbst 2014 durch die Presse.

Der Hamburger Schrift­steller Dirk C. Fleck veröf­fent­lichte 1993 den Zukunfts­roman GO! Die Ökodik­tatur, der 2006 und 2014 wieder aufge­legt wurde. Wie viele Zukunfts­ro­mane seit Schöne neue Welt von Aldous Huxley (1932) und 1984 von George Orwell (1948) entwirft auch dieser eine Diktatur-Dystopie, wie man negative Utopien besser bezeichnet. Woher die Vorliebe von Science-Fiction-Autoren für Dikta­turen kommt, darüber kann ich hier nur speku­lieren. Von der unbegrenzten Macht der Dikta­toren geht wohl eine kindi­sche Faszi­na­tion aus. Wahrschein­lich sind Dikta­turen auch leichter zu beschreiben als Demokra­tien oder andere vernetzte Gesell­schaften mit vielen unabhän­gigen Akteuren, weil sie viel einfa­cher struk­tu­riert sind. Zu Flecks Roman meinte das Green­peace Magazin 2006: „Ein beklem­mendes Buch. Mehr Prognose als Fiktion. Es braucht immer weniger Fantasie, um sich vorzu­stellen, dass sie wahr werden könnte.“ Ähnlich der Hessi­sche Rundfunk: „Dieser Roman wird mit jedem Jahr erschre­ckend aktueller.“

Ich dagegen halte eine Ökodik­tatur für sehr unwahr­schein­lich. Das Grund­pro­blem liegt aus polito­lo­gi­scher Sicht in der Frage: Wer sollte der soziale Träger einer solchen Diktatur sein? Wer könnte mit welchen Mitteln eine Ökodik­tatur gegen ihre mächtigen Gegner durch­setzen? Die Grünen? Der BUND? Green­peace? Bärbel Höhn, Katrin Göring-Eckardt und Hubert Weiger werfen Ferdi­nand Piëch, Martin Winter­korn, Dieter Zetsche, Johannes Teyssen, Peter Terium ins Gefängnis? Eine absurde Vorstel­lung. Es gibt keine grüne Vertei­di­gungs­mi­nis­terin, keinen grünen Bundes­wehr­ge­neral, keinen einzigen grünen Innen­mi­nister in Deutsch­land. Vom Zugriff auf bewaff­nete Kräfte des Staates sind die Grünen weit entfernt.

Nun könnte es ökolo­gisch motivierte Terro­risten geben, aber Umwelt­themen mobili­sieren bis auf weiteres nur winzig kleine, mäßig militante Gruppen, und die kümmern sich um Randthemen wie Tierschutz und Gentechnik. Wahrschein­lich ist über 90 Prozent aller ökolo­gisch inter­es­sierten Personen klar, dass sich ihre Themen nur im offenen Dialog mit vielen gesell­schaft­li­chen Akteuren durch­setzen können, oder sie hegen sogar übertrie­bene Hoffnungen in die ökolo­gi­sche Belehr­bar­keit von Konzern- und Medien­ver­tre­tern. Focus redete 2019 übrigens allen Ernstes von einer Verbots­partei, weil die Bundes­tags­fak­tion der Grünen in 26 von 367 Anträgen irgendein Verbot gefor­dert hatte.

Frei nach dem Diktatur-Experten Stalin stellt ich die Frage:

Wie viele Divisionen haben die Ökos?

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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