Erdogan: “Der Putschversuch war ein Geschenk Gottes.”

Am 16. Juli 2016, während sich das Schei­tern eines Militär­put­sches abzeich­nete, erklärte der konser­va­tive türki­sche Präsi­dent Tayyip Erdogan bei CNN Türk, der Putsch­ver­such sei “ein Geschenk Gottes” (oder eine “Gunst Gottes”) gewesen (welt​.de 17.7.2016). Nämlich ein willkom­mener Anlass, um das Land “zu säubern”, also Tausende von Erdogan-Gegnern einzu­sperren. Begeben wir uns mit dieser Dogmen­kritik also in religiöse Gefilde!

Sonntag, der 17. Juli, entwi­ckelte sich in Ostwest­falen-Lippe von einem leicht verreg­neten Morgen zu einem präch­tigen Sommertag, an dem eine warme Brise wehte, die Blätter rauschen und die Herzen der Wanderer höher schlagen ließ. Ich hatte das Glück, diesen Tag in trauter und neu gewon­nener Zweisam­keit in lippi­schen Wäldern verbringen zu dürfen. Dabei sahen wir auf blühenden Himbeer­bü­schen sogar drei Exemplare des seltenen Kaiser­man­tels, eines der schönsten hiesigen Schmet­ter­linge. Dieser Tag war wahrlich ein Geschenk Gottes, das mich die schreck­li­chen Ereig­nisse in Nizza, Istanbul und Ankara vergessen ließ.

Wenn Erdogan in seinem Triumph eine Tragödie, die 300 Menschen das Leben gekostet hat, als “Geschenk Gottes” bewertet, ist das nicht nur zynisch. Es ist eine Gottes­läs­te­rung, die mich an die Szene erinnert, die Heinrich Heine in seiner berühmten Ballade “Belsazar” beschrieb. Es ist eine Gottes­läs­te­rung, weil Erdogan von Gott spricht, während er selbst offenbar charak­ter­lich noch nicht einmal in der Lage ist, die Tragödie anzuer­kennen und zu würdigen, der er gerade beiwohnte: die schreck­liche Fehlent­schei­dung einiger schlecht infor­mierter Offiziere; das elende Spiel von Befehl und Gehorsam, das junge Soldaten dazu zwang, ihre Waffen auf ihre Mitmen­schen zu richten;  der Mut und die Todes­ver­ach­tung, mit der Bürge­rinnen und Bürger sowie Polizisten den Panzern entge­gen­traten; die Trauer um 300 Todes­opfer. Weil Erdogan von Gott spricht, während er nur sich selbst sieht, nach persön­lich-dikta­to­ri­scher Macht greift und seinen niederen Rache­ge­lüsten freien Lauf lässt.

Dabei meine ich mit Gottes­läs­te­rung (Blasphemie), dass Erdogan den Namen Gottes missbraucht, um seinen schweren persön­lich-charak­ter­li­chen Mängeln (Herrsch­sucht, Rache­durst, Menschen­ver­ach­tung, fehlende Empathie) göttliche Weihen zu verleihen. Damit setzt er das, was Gläubige als Gott verehren, herab und zieht es auf die Ebene mensch­li­cher Schwä­chen und Mängel. Ich spreche also nicht von einer juris­ti­schen Kategorie, sondern von einer theolo­gi­schen oder philo­so­phi­schen, vielleicht auch psycho­lo­gi­schen. Die theolo­gi­sche Kategorie findet sich z. B. im Tanach, im Alten Testa­ment.

Doch denje­nigen, die nun ein abgekar­tetes Spiel Erdogans hinter dem Putsch­ver­such vermuten, entgegne ich: Bitte bedenkt, wie gnadenlos dumm auch Generäle sein können; sie haben es leider viel zu oft in der Geschichte beweisen dürfen. Ihr verkennt, dass es in der Türkei einen echten und sehr tiefgrei­fenden Konflikt zwischen kemalis­ti­scher Bourgeoisie und Bürokratie auf der einen, islamis­tisch-konser­va­tiver Landbe­völ­ke­rung auf der anderen Seite gibt. Dass dumme Zufälle wie die vorzei­tige Aufde­ckung eines Putsch­plans eine große Rolle spielen können. Und dass Verschwö­rungs­theo­rien schon aus Gründen der Logik praktisch immer schlechte Theorien sind (siehe meine Kritik des Dogmas “Uwe Barschel wurde ermordet”, auch in “Die dümmsten Sprüche”, S. 175f).

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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