Dieses Duckmäuserdogma findet sich zum Beispiel in einer Rede des CDU-Politikers Friedrich Merz im November 2009 und in einer Rede der Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag 2008. In meiner Kritik im Buch habe ich vor allem den manipulativen Gebrauch des Personalpronomens »Wir« kritisiert:
Fast alle Sätze, die in der Zeitung stehen und mit dem Wörtchen »wir« anfangen, sind Nebelkerzen, denn wer mit diesem »Wir« gemeint ist, bleibt fast immer im Dunst. So auch hier bei Merz: Wer hat über seine Verhältnisse gelebt? Die sieben Milliarden Menschen der Erde? Die 750 Millionen Europäer? Die 81 Millionen Deutschen? Alle deutschen Journalisten? Alle deutschen Politiker? Herr Merz und seine Zuhörer? Hat Merz tatsächlich im letzten Jahr mehr Geld ausgegeben, als er eingenommen hat, und sich also verschuldet? Angela Merkel war in dieser Hinsicht etwas präziser und hat von Deutschland gesprochen. Richtig ist: Der deutsche Staat hat mehr Geld ausgegeben, als er eingenommen hat, und sich also verschuldet. Zwei Fragen bleiben offen: Liegt das daran, dass der Staat zu viel Geld ausgegeben hat, oder daran, dass er zu wenig eingenommen hat? Und wer ist schuld daran, dass so viele Menschen Geld aus sozialen Sicherungssystemen brauchen, um ihre Mieten bezahlen zu können, dass sogar Menschen, die in Vollzeit qualifizierte Arbeit leisten, von dem Lohn nicht leben können und zusätzliche Sozialhilfe brauchen?
Jens J. Korff: Die dümmsten Sprüche…, S. 123
2017 blies der Schriftsteller Bodo Morshäuser in der Wochenzeitung »Die Zeit« ins gleiche Horn:
Wir sollten uns keine falschen Gemeinschaftsgefühle vorgaukeln lassen… Wir werden ständig angewirt, weil man uns einfangen will, als Käufer, Wähler, Jasager. (…) Wer sind unsere Väter, unsere Mütter? Wie haben wir das Kriegsende erlebt? Wie sind wir geworden, was wir sind? Wie geht es uns denn heute? / Wer kann das wissen? Nur eines weiß ich: So redet man mit Vollidioten.
Bodo Morshäuser: Wir werden ständig angewirt… Die Zeit 22.6.2017
Morshäuser sieht auch, was dadurch verdeckt und aus dem Diskurs genommen wird: die Machtstrukturen der Gesellschaft, die Interessenkonflikte in der Gesellschaft.
Warum sich das Wir so oft anbietet
Doch auch ich habe diesen Artikel zunächst mit dem Wort »Wir« begonnen: »Wir finden das Duckmäuserdogma bei Merz…« Solche Formulierungen sind verlockend, weil sie den Satzbau vereinfachen. Ich muss als Autor keine hässlichen Passivkonstruktionen benutzen und kann mir trotzdem die Mühe sparen, ein eindeutiges Subjekt zu definieren. Es steckt also nicht unbedingt eine politische Absicht dahinter, und in solchen Fällen ist es wohl auch legitim. Wir – das sind in diesem Fall ich und meine geneigten Leserinnen*, die vielleicht die Relevanz meiner These überprüfen wollen.
Doch oft lohnt es sich auch, genauer über das Subjekt nachzudenken. Man kommt dann als Autor zu präziseren Formulierungen.