Spengler, Spengler über alles!

Der hessi­sche Germa­nist Albrecht Betz (seit 1985 Professor in Aachen) schrieb 2012 einen kriti­schen Essay über Oswald Spengler und seinen begriffs­bil­denden Klassiker »Der Unter­gang des Abend­landes« als Beispiel für Endzeit-Szena­rien.  Obwohl er Dutzende völlig aberwit­ziger und grauen­hafter Gedanken Speng­lers ausführ­lich zitiert und exzer­piert, also viel nützli­ches Material für eine Spengler-Kritik angehäuft hat, raffte sich Betz zu keinerlei inhalt­li­cher Kritik auf und zitiert auch keine Kritik eines anderen. Die hanebü­chenen Wider­sprüche in Speng­lers natio­nal­kon­ser­va­tiver Ideologie ließ Betz unkom­men­tiert stehen. Ich hake ein wenig nach.

So z. B. diesen: Im ersten Teil des »Unter­gangs« hatte Spengler den Imperia­lismus gepre­digt und Preußen-Deutsch­land die welthis­to­ri­sche Mission zuerteilt, in einem großen Krieg die Völker Europas zu unter­jo­chen und ein Imperium Germa­nicum nach dem Vorbild des Imperium Romanum zu errichten. Dummer­weise ging dieser Krieg 1918 verloren, während Speng­lers Buch gerade gedruckt wurde. Das war dem Verkaufs­er­folg des Buches sehr förder­lich, denn es war mit seinem Steile-Thesen-Titel das passende Beruhi­gungs­mittel in einer dunklen Stunde der Deutsch­na­tio­nalen. Dass Spengler die preußisch-deutsche Nieder­lage in keiner Weise analy­sierte, auch nicht im zweiten Teil, der 1922 erschien – der Kritiker Betz findet offenbar nichts dabei.

Dann kam 1932 Speng­lers Schrift »Jahre der Entschei­dung«. Darin stellte der rosige Abend­länder die These auf, die Neger und die Gelben hätten den Respekt vor der »weißen« Herren­rasse verloren, weil diese sich im Weltkrieg selbst geschwächt (und blamiert) habe. Deshalb stehe neben der »weißen Weltre­vo­lu­tion« (der kommu­nis­ti­schen) eine »farbige Weltre­vo­lu­tion« vor der Tür.  Die Prognose war nicht schlecht, aber – zum Teufel! –: Wer hat den verfluchten Weltkrieg denn angezet­telt, wenn nicht die preußisch-deutschen Imperia­listen? War das jetzt doch noch eine späte Selbst­kritik des Ex-Imperia­listen Spengler? Betz schweigt dazu. Spengler würde sich wohl damit heraus­reden, dass er ja nur aufzeichne, was das Schicksal dem Abend­land diktiert.

Ganz ähnlich ist auch der Wikipedia-Artikel über Spengler aufge­baut und grundiert. Vielleicht können wir Linken von Spengler lernen, dass man sich Selbst­kritik auch ersparen kann. Dem publi­zis­ti­schen Erfolg ist das mögli­cher­weise förder­lich. Man muss noch nicht einmal befürchten, deshalb von intel­lek­tu­ellen Kriti­kern ausein­an­der­ge­nommen zu werden.

Einer der wenigen, die sich an eine Spengler-Kritik heran­ge­wagt haben, war der marxis­ti­sche Philo­soph Georg Lukács. In seinem 1954 in der DDR erschie­nenen Handbuch Die Zerstö­rung der Vernunft widmete er Spengler de Seiten 366–378. Der westdeut­sche Polito­loge Kurt Lenk (ein Lehrer des Autors) widmete Speng­lers Schrift über “Preußentum und Sozia­lismus” die Seiten 141–146 seines 1989 erschie­nenen Buches Deutscher Konser­va­tismus.

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

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