Warum es links ist, Kohle und Stahl zu verabschieden

Essen machen: Wer am 1. Mai 2019 arbeitete
Wer am 1. Mai 2019 arbei­tete

Auf der DGB-Kundge­bung zum 1. Mai 2019 in Biele­feld sprach der Aachener Christ­de­mo­krat und NRW-Minis­ter­prä­si­dent Armin Laschet, wobei er sich gegen eine große Menge Störer durch­setzen musste. Laschet fühlte sich bemüßigt, zur Forde­rung der Klima­schützer nach Ausstieg aus der Kohle Stellung zu nehmen. Mehrfach forderte er uns Zuhörer auf, die Inter­essen der Arbeiter von Stahl‑, Aluminium‑, Chemie- und Autoin­dus­trie zu beachten. Angesichts unserer roten Fahnen betonte er, es sei nicht links, deren Arbeits­plätze zu gefährden.

Doch, es ist links, ein Stahl- oder Alumi­ni­um­werk für den Klima­schutz zu schließen. Als alter Aachener wider­spreche ich Ihnen, Herr Laschet.

Schon der Umstand, dass Sie in Ihrer Rede diese Arbeiter erwähnen, sogar mehrfach, und 95 % der Arbeiter und Angestellten in anderen Branchen mit keinem Wort erwähnen, vor allem sämtliche Dienst­leister nicht (sie stellen 70 % der deutschen Arbeits­plätze), schon dieser Umstand zeigt, dass Arbeiter der Stahl‑, Aluminium‑, Chemie- und Autoin­dus­trie beson­dere Privi­le­gien besitzen. Sie verdienen nicht nur mehr Geld als ich und viele Millionen anderer Dienst­leister, ihre Arbeits­plätze genießen auch den beson­deren Schutz des Minis­ter­prä­si­denten – zumin­dest dann, wenn sie von Klima­schüt­zern gefährdet werden. Werden sie von Renta­bi­li­täts­rech­nungen inter­na­tio­naler Inves­toren gefährdet, hört der staat­liche Schutz freilich schnell auf.

Stahl, Aluminium & Co: eine Arbeiteraristokratie

Bei den Stamm­be­leg­schaften der erwähnten Branchen, zu denen auch die Energie­kon­zerne gehören, handelt es sich, sozio­lo­gisch gespro­chen, um eine Arbei­ter­aris­to­kratie – also um einen privi­le­gierten Stand inner­halb der Arbei­ter­schaft mit überdurch­schnitt­lich hohen Einkommen und beson­ders hoher politisch-gesell­schaft­li­cher Wertschät­zung. Die beson­deren Inter­essen dieses Standes werden auf muster­gül­tige Weise von der IG Bergbau und Chemie vertreten sowie von wichtigen Teilen der IG Metall. Die IG Bergbau und Chemie gehörte in der Kohle­kom­mis­sion zu den konser­va­tivsten, also den am weitesten rechts stehenden Kräften, die jeden Schritt zu einem wirksamen deutschen Klima­schutz blockieren wollten. Denn sie wissen genau wie wir Klima­schützer: Klima­schutz ist in Deutsch­land ohne einen raschen Ausstieg aus der extrem klima- und natur­schäd­li­chen Braun­kohle nicht möglich. Da sie diesen Ausstieg auf Teufel komm ‘raus verhin­dern wollten, mussten sie das Ziel eines wirksamen deutschen Beitrags zum inter­na­tio­nalen Klima­schutz insge­samt angreifen und diskre­di­tieren. Hier ein Beispiel vom 3.10.2018. Also eine rechts­ge­rich­tete Politik machen, wie sie unter den Parteien offen nur noch von der Klima­leug­ner­partei AfD vertreten wird. Dazu eine Analyse auf klima​fakten​.de. Hier, Herr Laschet, sehen Sie, welchen Platz Anti-Klima­po­litik im politi­schen Rechts-Links-Spektrum einnimmt.

Es ist kein Zufall, dass ausge­rechnet die AfD versucht, diese Schäf­chen einzu­fangen. Privi­le­gierte Schichten, die die Gefahr wittern, ihre Privi­le­gien alsbald zu verlieren, neigen dazu, ihre Herrschafts­po­si­tion mit Zähnen und Klauen nach unten zu vertei­digen. Natio­na­listen und Faschisten sind genau jene politi­schen Kräfte, die das Nach-unten-Treten zum Programm machen.

Es ist links, eine Hierarchie anzugreifen

Es ist links, die Privi­le­gien der Arbei­ter­aris­to­kratie anzugreifen, weil sie eine wichtige Rolle in unserer gesell­schaft­li­chen Hierar­chie spielen. Die Privi­le­gien spiegeln ein Herrschafts­ver­hältnis wider, in dem prekär beschäf­tigte Zuarbeiter und Dienst­leister die ernied­rigte und stumm gestellte Unter­schicht bilden. Paket­boten, Packe­rinnen, Palet­ten­stapler, Bäcke­rei­ver­käu­fe­rinnen, Köche, Kellne­rinnen, Alten­pfleger, Sozial­ar­bei­te­rinnen, Tanzlehrer, Friseu­rinnen, Theater­schau­spieler, Buchhänd­le­rinnen, Kranken­schwes­tern, Fotografen, Arzthel­fe­rinnen, Grafiker, sogar angestellte Ärzte und Lehre­rinnen bilden diese ernied­rigte Unter­schicht. Welche Wertschät­zung die Unter­schicht bei Laschet genießt, das blitzte kurz auf, als ich ihn nach seiner Rede auf dem Platz fragte, warum er nicht von Dienst­leis­tern spreche, von den 70 Prozent der Arbeits­plätze: »Wir können nicht davon leben, uns gegen­seitig die Haare zu schneiden. Zwischen­durch muss auch mal jemand arbeiten.« Zu dieser erzar­ro­ganten Schrö­derei hier meine spezi­elle Dogmen­kritik.

Was um Himmels willen hat in einer sich wandelnden Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft ein Mann, der ein derart betoniert-reaktio­näres Bild von Arbeit im Kopf hat, an der Spitze des bevöl­ke­rungs­reichsten Bundes­landes zu suchen?

Wer am 1. Mai 2019 in Biele­feld arbei­tete

Jens Jürgen Korff

Veröffentlicht von

Jens J. Korff

Historiker, Politologe, Texter, Rheinländer in Westfalen, Sänger, Radfahrer, Wanderer, Naturbursche, Baumfreund, Pazifist

2 Gedanken zu „Warum es links ist, Kohle und Stahl zu verabschieden“

  1. Stahl­pro­duk­tion und der damit eng verbun­dene Stein­koh­le­bergbau haben vor allem das Ruhrge­biet wirtschaft­lich groß gemacht. Ihre Größe und wirtschaft­liche Macht hat an verschie­denen Stellen ebenso ausge­prägte Lobby­ar­beit hervor­ge­bracht – auch in Form von Gewerk­schaften (die eine von Ihnen genannte heißt übrigens IG Bergbau, Chemie und Energie – IG BCE). Daran ist zunächst auch nichts auszu­setzen. Dass diese Indus­trie (einschließ­lich der Braun­koh­le­för­de­rung) immer schon und in vielerlei Hinsicht umwelt­schäd­lich war, wird niemand ernst­haft bestreiten. Wenn man nun davon ausgeht, dass der Klima­wandel von uns Menschen gemacht ist und wir diesen nur stoppen können, wenn wir radikal beim CO2-Ausstoß einsparen, dann kommen wir spätes­tens jetzt nicht mehr umhin, uns von Kohle­kraft­werken zu verab­schieden und sämtliche Indus­trien, die auf diese Rohstoffe zurück­greifen, einer strengen und restrik­tiven Prüfung zu unter­ziehen. Und nun passiert das, was man an vielen Stellen beobachten kann – es setzt eine Art Selbst­er­hal­tungs­trieb (auch bei den Gewerk­schaften) ein. Man stelle sich vor, wir kämen ohne Braun- und Stein­kohle zurecht. Dann hätten diese Gewerk­schaften ihre Berech­ti­gung in großen Teilen verloren. Das darf natür­lich nicht sein. Folglich werden dort Ansichten vertreten, die weder zu der früher klar politisch links orien­tieren Haltung passen, noch zu einer Politik, die den Klima­wandel eingrenzen möchte.

    Umwelt- und klima­freund­liche Politik hat m.E. nichts mit „linker Politik“ zu tun. Das Argument „Arbeits­plätze“ ist im Übrigen keines. Warum bei alter­na­tiven Energien und in ihrem Umfeld nicht ausrei­chend neue Arbeits­plätze entstehen sollten, habe ich nie verstanden. Nach Zahlen des Bundes­mi­nis­te­riums für Wirtschaft und Energie waren im Jahr 2016 insge­samt 338.600 Menschen im Bereich erneu­er­bare Energien beschäf­tigt. Außerdem haben wir uns auch sang- und klanglos von anderen Arbeits­plätzen verab­schiedet, ohne dass die Politik und die Gewerk­schaften sich dabei beson­ders laut zu Wort gemeldet haben. Es ist für konser­va­tive Politiker einfach sehr leicht, den Linken vorzu­werfen, sie würden nicht an die Arbeits­plätze denken. Wenn auch völlig absurd, greift diese Argumen­ta­tion und beschert AfD & Co. Zulauf aus Kreisen, die vor Jahren niemals rechts gewählt hätten. Traurig, aber wahr.

    Dennoch: Kranken­schwes­tern, angestellte Ärzte und Lehre­rinnen würde ich nicht zu einer ernied­rigten und stumm gestellten Unter­schicht zählen. Ihnen fehlt, was für den Kumpel im Bergbau früher überhaupt keine Frage war – eine starke Gewerk­schaft. Das Inter­esse, sich vernünftig zu organi­sieren fehlte dort bislang fast völlig. Insbe­son­dere in den Pflege­be­rufen hätte schon viel bewegt werden können, wenn die Beschäf­tigten sich wenigs­tens ansatz­weise entspre­chend organi­siert hätten. Das Recht dazu haben sie, allein der Wille fehlte. Aktuell tut sich dort ja etwas und es bleibt abzuwarten, wie es dabei weiter­geht.

    1. Putzfrauen, Bäcke­rei­ver­käu­fe­rinnen, Friseu­rinnen, Kellne­rinnen usw. kann man durchaus zu einer ernied­rigten Unter­schicht zählen. Es hilft auch nichts abzuwarten, dass diese Leute in eine tradi­tio­nelle Gewerk­schaft eintreten. Das werden sie nicht tun, weil diese Organi­sa­ti­ons­form offenbar nicht kompa­tibel ist mit Klein­be­trieben, Zeitver­trägen, prekären Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nissen, und weil tradi­tio­nelle Streiks kaum kompa­tibel sind für Dienst­leister, die täglich direkten Kontakt zum Unter­nehmer und zu den Menschen haben, die sie bedienen (Friseur­laden, Gaststätte). Um solche Leute in Arbeits­kämpfe einzu­binden, müssen neue Organi­sa­ti­ons­formen gefunden werden. Hat jemand eine Idee?

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